Autorin Johanna Herz vom Abschiednehmen und Loslassen
Johanna Herz über den Tod ihrer Mutter und dessen Folgen
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Im März 2020 erhielt ihre Mutter die Diagnose Gehirntumor. Prognose: Aussichtlos. Vier Monate später verstarb sie. Johanna Herz hat diese Zeit in dem Buch „Schmetterlingsauflauf“ verarbeitet. Es ist eine berührende Geschichte, die Angehörigen Mut machen und die Angst vorm Sterben nehmen soll.
Der 13. März 2020: In Österreich wird der erste Corona-Lockdown ausgerufen. Am selben Tag erhält die Mutter von Johanna Herz, 56, die Diagnose Gehirntumor. Wenige Monate später, am 30. Juni 2020, stirbt sie an den Folgen der heimtückischen Krankheit. Ihre Tochter Johanna hat in der Zeit, die ihr mit ihrer Mama noch blieb, Tagebuch geführt. „Jeden Abend, wenn alle schliefen, habe ich mich an den Laptop gesetzt und geschrieben. Es war für mich eine Art Therapie. So konnte ich meine Gedanken ordnen, runterkommen und sammelte Details, an die ich mich sonst ganz sicher nicht mehr erinnert hätte.“ Kurze Zeit nach dem Tod ihrer Mutter griff sie diese Zeilen wieder auf, um daraus ein Buch zu machen. „Ich habe ein halbes Jahr daran gearbeitet, als durch einen Speicherfehler plötzlich das halbe Manuskript weg war.“ Die Kinderradio-Moderatorin rührte das Projekt die nächsten Monate dann nicht mehr an: „Ich war mir plötzlich unsicher. Was, wenn meine Mutter das nicht wollte … Ich glaube nicht an Zufälle, aber an Zeichen.“ Ein weiteres kam wenige Monate später …
Johanna Herz im Interview
Die Zeit zwischen der Diagnose und dem Tod Ihrer Mutter war kurz – was haben Sie in den wenigen Monaten über das Leben gelernt?
Herz: Dass es für alles den richtigen Zeitpunkt gibt. Durch den Lockdown hatten meine Familie und ich die Möglichkeit, intensiv Zeit mit meiner Mutter zu verbringen. Mein Mann hatte viel frei, meine beiden Söhne waren zu Hause. Der ältere war damals 16 und mir eine große Hilfe. Auch mein Bruder und seine Frau waren eine große Stütze. Dass meine Mutter keine medizinische Behandlung bekommen hat, war im Nachhinein ein Glücksfall – man hätte ihr Leben unter Qualen verlängert, obwohl es aussichtslos war. Was mir auch immer wieder bewusst geworden ist: Wenn man sich auf das Positive besinnt, so schlecht etwas auch erscheinen mag, kann man sich gut daran festhalten.
Von welcher Seite haben Sie sich selbst in dieser Zeit kennengelernt?
Ich weiß jetzt, dass ich auch dann funktioniere, wenn die Welt über mir zusammenbricht. Keine Ahnung, ob das ein Selbsterhaltungstrieb ist, der mich da geleitet hat, aber ich hab’s geschafft, alles andere auszublenden und mich wirklich nur auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Was hat Ihnen am meisten zugesetzt?
Körperlich vor allem, dass ich in der Nacht mindestens zwei Mal aufgestanden bin, um sie umzubetten, damit sie nicht wund liegt. Mental war das stückchenweise verabschieden.
Der Papa hatte Krebs
Sie haben Jahre zuvor Ihren Vater schon an Krebs verloren. Wie hat sich Ihr Zugang zum Leben und zum Tod seitdem verändert?
Ich habe keine Angst mehr vor dem Sterben. Es ist ein Moment, auf den sich im Normalfall keiner wirklich freut. Wir hängen halt am Leben. Aber wir alle kommen mal an den Punkt. Und es macht den Moment nicht weniger traurig, wenn wir ihn von uns wegschieben. Vielleicht hat all das, was passiert ist, auch meinen Blick für Details geschärft. Man braucht nicht immer Großprojekte, um glücklich zu sein. Oft liegt die größte Freude in den kleinen Dingen … Ich nutze das Leben mit all seinen Facetten. Außerdem bin ich achtsamer geworden, was meinen Körper betrifft, und höre auf die Signale, die er mir schickt. Wenn man merkt, dass etwas nicht passt, sollte man sich’s anschauen lassen. Wenn man früh genug reagiert, kann man oft noch viel richten. Und das bin ich, wie ich finde, allein meinen Kindern schuldig. Ich möchte, solange es geht, für sie da sein und hoffentlich auch die nächste Generation miterleben dürfen.
Ich nutze das Leben mit allen Facetten.
Johanna Herz
Was hätten Sie rückblickend all die Jahre öfter tun sollen? Was seltener?
Mehr Fragen stellen. Mehr Gespräche führen. Weniger Angst haben. Das gilt für uns alle. Alles, was Angst tut: Sie blockiert uns und hemmt das Weiterkommen.
Wenn Sie an Ihre Mutter denken, welche Erinnerung an Sie fällt Ihnen spontan ein?
Wir haben oft und viel miteinander gelacht. Manchmal fast bis zum Platzen. Wir haben zusammen Reisen unternommen, haben täglich miteinander telefoniert. Sie fehlt. Und dieses Gefühl geht nicht weg.
Gibt es einen Satz von ihr, der Sie nach wie vor sehr präsent begleitet?
Es sind zwei. Der eine lautet: „Weil ich es aushalten kann.“ Das war ihre Antwort auf die Frage, warum ihr so viele schwere Dinge im Leben passiert sind und ihr das Schicksal einiges aufgebürdet hat. Als sie dann krank wurde, sagte sie einmal zu meinen Brüdern und mir: „Ich werde jede Entscheidung, die ihr für mich trefft, akzeptieren.“ Mit diesem Satz hat sie uns von jeder negativen Verantwortung freigesprochen. Ich habe es auch als großen Liebes- und Vertrauensbeweis empfunden.
Traditionen sind wichtig
Was von ihr lebt in Ihnen weiter?
Optisch bin ich ein Abziehbild von ihr. Die Reiselust und die Neugier aufs Leben habe ich von ihr geerbt. Auch die Liebe zum Familiären. Wir haben wundervolle Traditionen. Zum Beispiel ist das Weihnachtsessen seit Jahrzehnten dasselbe: kaltes Huhn mit Gemüse-Mayonnaisesalat und rote Beete mit Linsen. Traditionen schaffen kleine Erinnerungen, durch die Verstorbene weiterleben.
Die Mama von Johanna Herz lebt durchs Buch weiter
In Ihrem Buch schreiben Sie: „Wie verschieden Menschen doch reagieren, wenn es um Krankheit und Tod geht“. Wie haben Sie das erlebt?
Manche haben sich zurückgezogen, manche wiederum sehr eingebracht. Ich habe versucht, jede Reaktion zu akzeptieren und nicht zu sagen: „Geh, komm …“ Wenn Kinder einen Albtraum haben, hilft’s auch nicht, wenn man ihre Ängste abtut. „War ja nur ein Traum …“ Oder wenn jemand sich vor Hunden fürchtet. Wenn jemand Angst hat, hat er Angst. Jeder gibt, was er geben kann. Wenn es wenig ist, ist es wenig, aber deswegen nicht weniger wertvoll.
Welche Bedeutung steht hinter dem Namen des Buches „Schmetterlingsauflauf“?
Als Schmetterlinge haben wir immer das Augenzwinkern, das einem Flügelschlag ähnelt, bezeichnet. Auflauf deshalb, weil Mama in der Krankheit einen unglaublichen Appetit und eine besondere Vorliebe für Aufläufe – besonders Reisauflauf – entwickelt hat.
Was wissen Sie heute übers Festhalten und Loslassen?
Ich spreche jeden Tag mit ihr und fühle mich noch immer stark mit ihr verbunden. Ich habe meine Mutter nicht losgelassen. Und weiß auch nicht, warum ich das überhaupt sollte.
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