Yoga: Herz über Kopf
Von der Sporthasserin zu einer, die es nun freiwillig tut: Wie Yoga mich gelehrt hat, (wieder) Freude an der Bewegung zu finden.
© Pexels/Koolshooters
Wandertag. Oder auch: mein persönlicher Endgegner. Schlimmer als Schularbeiten, Turnunterricht (an zweiter Stelle) und Hosenkaufen im Winter. Nie habe ich verstanden, wie irgendjemand diese grauenhafte Kombination aus Schwitzen, schwerer Atmung und schmerzenden Beinen auch nur ansatzweise befriedigend finden kann. Und schon Wochen zuvor habe ich an Strategien gefeilt, um dieser verhassten Pflichtveranstaltung irgendwie zu entkommen.
Minimalprogramm.
Nun gut, wenn Wandern nicht das richtige ist, dann vielleicht Tennis. Oder Eiskunstlaufen. Oder ein Fitnessstudio-Abo. Nach unzähligen Trainerstunden und einem irgendwann absehbaren Verpuffen anfänglicher Euphorie stellte sich die ernüchternde Erkenntnis ein: Sport ist wohl einfach nicht das meine.
Von gut gemeinten elterlichen Ratschlägen und schulischen Auflagen weitgehend befreit, gab es in meinem Erwachsenenleben keinen Grund mehr, mich (über das notwendige Maß hinaus) zu bewegen – zwischen Uni, Nebenjobs, Ausgehen und Treffen mit Freund:innen blieb auch gar kein Platz für Langeweile, die einen möglichen Bewegungsdrang zutage gefördert hätte. Dann kam Corona.
Pam und ich.
Die privaten und beruflichen sozialen Interaktionen, aus denen ich so viel Energie und Glücksgefühle zog, fielen plötzlich weg. Und je länger der Lockdown andauerte, desto stärker machte sich eine innere Unruhe breit, an der auch Bananenbrotbacken und virtuelle Zoom-Parties nichts änderten. Irgendwann war meine Verzweiflung so groß, dass sich ein tollkühner Gedanke formte: Vielleicht würde Bewegung helfen?
Nach ein paar semi-motivierten Einheiten auf dem alten Ergometer meiner Eltern stolperte ich über den YouTube-Kanal von Fitfluencer-Ikone Pamela Reif. „Pam“ und mein unausgelastetes Ich wurden überraschend schnell warm miteinander: Voll ausgestattet mit drei Fitnessmatten, fünf neuen Sportoutfits und diversen Resistenzbändern trainierte ich fast täglich mit ihren Videos, verfolgte ihre Wochenpläne und schloss sogar ein Premium-Abo für ihre App ab.
An trainingsfreien Tagen sehnte ich bereits die nächste Einheit herbei – immerhin passierte ja zwischen meinem Homeoffice-Arbeitsplatz, Lebensmitteleinkäufen und kurzen Spaziergängen sonst nicht viel. Acht Monate lang zog ich dieses Programm durch und war überzeugt, das Bedürfnis nach Bewegung sei mir nun endlich in Mark und Bein übergegangen. Bis zu dem Tag, an dem der Lockdown endete.
Zurück zur Realität.
Sobald ich meine natürliche Endorphinquelle in Form von sozialen Kontakten wieder hatte, verpuffte mein Sportwahn wie eine Seifenblase. Ich ging wieder regelmäßig aus, traf mich mit Freund:innen und ließ die Fitnessmatte immer öfter im Eck stehen.
Die Abstände zwischen den Trainingseinheiten wuchsen zunehmend, und nach ein paar Monaten hatte mich die Bewegungs-Unlust wieder fest im Griff. Nun gut, immerhin kann mir keiner vorwerfen, ich hätte es nicht versucht, dachte ich mir. Ich stand also vor der Wahl: mich weiterhin zum Sport zu zwingen, um mein Gewissen zu beruhigen – oder bedürfnisorientiert zu handeln und der „No-Excuses“-Mentalität abzuschwören. Ich entschied mich für zweiteres und erklärte meine sportliche Ära offiziell für beendet.
Ist das eine Falle?
Zwei Jahre später wurde ich auf eine Pressereise nach Bali eingeladen. Als ich die Programmpunkte – unter anderem Pilates, Tai-Chi und Yoga – sah, wurde mir mulmig. War ich bereit, diese Tür nochmal einen Spalt zu öffnen? Ich dachte an all die beseelten Insta-Yoginis und entschied, es darauf ankommen zu lassen. Was die können, kann ich schon lange – auch bei gefühlten 40 Grad Außentemperatur.
So nahm ich um sieben Uhr morgens auf der Matte Platz und wartete, meine Muskeln in höchster Alarmbereitschaft, auf die Anweisungen des Lehrers. „Setzt euch bequem hin und schließt die Augen“, lautete der erste Appell. Ist das eine Falle? Ich tat, wie mir geheißen. „Jetzt atmet gemeinsam mit mir. Konzentriert euch auf die Stellen, wo euer Körper den Boden berührt. Fühlt in jede Gliedmaße hinein, von den Zehen bis in die Fingerspitzen“, erklärte er weiter. Okay, das war neu. Ich entspannte mich ein bisschen. Wann bin ich das letzte Mal dagesessen, ohne irgendetwas zu tun? Es war gar nicht so einfach, sich dieser Ereignislosigkeit hinzugeben – und fast freute ich mich schon auf den dynamischen Teil unserer Stunde.
Atmen, atmen, atmen.
Schließlich fingen wir an, uns zu bewegen: Arme über den Kopf, einatmen. Hände vors Herz, ausatmen. Arme wieder nach oben, einatmen. Fingerspitzen zu Boden, ausatmen. So flossen die Bewegungsabläufe dahin, langsam und bewusst, eine konstante Mischung aus An- und Entspannung. Beim Yoga folgt die Bewegung dem Atemrhythmus, nicht umgekehrt.
Anstatt möglichst viele Wiederholungen zu schaffen und im Sinne maximaler Effizienz zu trainieren – so, wie ich es von Pamela und Co kannte –, wurde an der Haltung gefeilt: die Hüfte noch ein bisschen aufdrehen, den Rücken etwas länger machen, die Wirbelsäule über dem Becken ausrichten. Und dabei immer: atmen, atmen, atmen. Das Ganze erforderte so viel Aufmerksamkeit, dass die physische Anstrengung in den Hintergrund rückte. Hinterher fühlte ich mich ein bisschen wie nach einer Massage: beansprucht, aber wohlig-zufrieden – auch im Kopf.
Vom Außen ins Innen.
Zum ersten Mal erlebte ich Bewegung nicht mehr aus der leistungsgetriebenen Perspektive, die in allem eine Challenge sieht und in Proteinshakes, „Bikini Bodys“ und Vergleichen denkt. Ich lernte, dass Bewegung beim Yoga nicht im Außen, sondern im Innen beginnt. Könnte das die Lösung sein? Ich beschloss, es herauszufinden und schrieb mich zuhause für einen Hatha-Yoga-Kurs ein – einer Yogaform, die körperliche Übungen mit Atemübungen und meditativen Elementen kombiniert.
Heute stehe ich kurz vor dem Abschluss meines zweiten Kurses und bin sogar freiwillig in die Leicht-Fortgeschrittenen-Gruppe gewechselt. Nicht der Challenge wegen – sondern weil ich stärker geworden bin, in jeder Hinsicht.
Es geht auch anders.
Früher konnte ich mit Meditation nicht besonders viel anfangen, inzwischen weiß ich die paar Minuten Innehalten am Anfang und Ende jeder Stunde zu schätzen. Meine Yogalehrerin Miriam hat einmal gesagt: „Stell dir vor, du liegst auf einem Floß, dessen Taue sich vom Steg lösen und das im Wasser langsam davongleitet.“ Daran denke ich nun regelmäßig beim Einschlafen.
Ich habe gelernt, wie ich durch verschiedene Atemtechniken meinen Herzschlag beeinflusse, wie man ausufernde Gedanken wieder in die richtige Bahn lenkt und wie ich die Bedürfnisse und Grenzen meines Körpers besser wahrnehmen kann. An manchen Tagen mag ich es intensiver, an anderen wiederum schalte ich lieber einen Gang zurück. Und auch ohne Pulsuhr und Körperanalysewaage gab es in den letzten Monaten einige Erfolgserlebnisse: zum Beispiel, als ich endlich meine Zehenspitzen berühren konnte. Oder als ich die „Krähe“ zum ersten Mal länger als zwei Sekunden halten konnte, ohne auf die Nase zu fallen.
Yoga hat mir gezeigt, dass Sport nicht gleich Sport ist. Dass es nicht nur stumpfe Disziplin braucht, um sich regelmäßig zu bewegen, und keine komplette Verausgabung, um sich weiterzuentwickeln. Dass es keine Schwäche ist, wenn ich heute einfach nur daliegen, die Augen schließen und vor mich hin atmen möchte. Sondern dass die eigentliche Stärke darin liegt, die Matte überhaupt auszurollen.
Jede:r kann Yoga praktizieren.
Miriam Weber, Kraftort.Tirol
Was macht eine gute Yogastunde aus, und was sollten Neulinge beachten? Yogalehrerin Miriam Weber („Kraftort.Tirol“) klärt auf.
Was unterscheidet Yoga von anderen Sportarten?
Miriam Weber: Ich würde Yoga nicht als Sportart bezeichnen. Es ist eine Philosophie, die Verbindung und Einheit auf allen Ebenen und in allen Bereichen lehrt: den Umgang mit sich selbst, mit anderen Menschen und mit dem Planeten. Im westlichen Kulturkreis umfasst Yoga oft nur den körperlichen Teil. Eine gute Yogastunde enthält Meditation vor und während der Übungen, eine Abschlussentspannung und sie lehrt einen liebevollen Umgang mit sich selbst.
Bei den Körperhaltungen geht es nicht um die äußere Form, und die Bewegung soll nicht vom Innehalten und Hineinspüren ablenken. Wir üben uns darin, Erwartungshaltungen, Wettkampf und Vergleiche abzulegen. Es geht darum, den Körper zu erkunden und etwaige Spannungen zu transformieren. Ich muss innerlich immer ein wenig schmunzeln, wenn ich höre: „Ich bin für Yoga nicht dehnbar genug.“ Wenn man die eigentliche Absicht des Yoga kennt, wirken die gephotoshopten „Yoga“-Models auf Instagram umso fragwürdiger.
Für wen ist Yoga geeignet?
Grundsätzlich kann jede:r Yoga praktizieren. Yoga kann auch bedeuten, sich 30 Minuten lang auf den Rücken zu legen und die Atmung zu beobachten. Dennoch gibt es Yogastile, die für manche besser geeignet sind als für andere. Zum Beispiel arbeitet Iyengar Yoga viel mit Hilfsmitteln und korrekter körperlicher Ausrichtung. Menschen mit körperlichen Einschränkungen sind auch bei Yoga-Therapeut:innen gut aufgehoben. Im Yin Yoga oder Restorative Yoga werden muskulär entspannende Haltungen lange gehalten, um zur Ruhe zu kommen. Diese Stile sind für fast jede:n geeignet.
Es gibt auch Yogastile, die dich ins Schwitzen bringen, wie Vinyasa Yoga oder Ashtanga Yoga. Kundalini Yoga beschäftigt sich viel mit Energie und Schwingungen, es werden auch Mantras gesungen. Wer tiefgründige, ganzheitliche Yogastunden schätzt, fühlt sich vielleicht im Sivananda Yoga wohl. Eine klassische Hatha-Yoga-Stunde ist gut für Einsteiger:innen, die sich gerne bewegen, aber nicht mit zu vielen Haltungen und spirituellen Inputs überfordert werden wollen.
Wie finde ich heraus, welche Yoga-Art für mich die richtige ist?
Ich empfehle, einen Stil zu wählen, der ausgleicht und Raum für das bietet, was im Alltag oft zu kurz kommt. Wer normalerweise sehr aktiv ist und viel Energie hat, kann einen ruhigen Yogastil auswählen, und umgekehrt. Meiner Meinung nach ist es aber wichtiger, wie wohl und aufgehoben man sich bei der Lehrperson fühlt.
Wie beeinflusst Yoga unsere physische und mentale Gesundheit?
Eine Praxis, die neben muskulär anspruchsvollen Übungen auch Meditations-, Atem- und Entspannungstechniken umfasst, stimuliert das vegetative Nervensystem, reguliert den Hormonhaushalt, senkt den Blutdruck, fördert die Konzentrationsfähigkeit und baut Stress ab.
Durch Drehhaltungen und die Stimulation von Druckpunkten werden Verdauungs- und Reinigungsprozesse im Körper angeregt. Die Muskulatur wird gestärkt und gedehnt, zudem kann das Selbstvertrauen gefördert werden. Die Effekte sind natürlich abhängig von der Regelmäßigkeit der Praxis und der Gestaltung der Einheiten.
Was sollte ich vor der ersten Yogastunde beachten?
Es ist ratsam, nicht unmittelbar vor der Yogastunde zu essen und ausreichend zu trinken. Trage lockere Kleidung, die den Bauch nicht einschnürt, da eine tiefe Atmung und ein entspannter Bauch grundlegend für viele Yoga-Übungen sind. Es ist wichtig, die eigenen Grenzen zu beachten, unabhängig davon, was andere in der Stunde machen.
Ich freue mich immer über Teilnehmende, die in Schlabberhosen und weitem T-Shirt kommen und sich bei Übungen, die sie gerade nicht mitmachen möchten, einfach auf den Boden legen. Es ist zudem hilfreich, dem:der Yogalehrer:in gegenüber Einschränkungen anzusprechen – auch eine leichte Verkühlung, Kopfschmerzen oder die Menstruation –, damit der Input entsprechend angepasst werden kann.
MEHR ÜBER DIE AUTORIN DIESES BEITRAGS:
Andrea Lichtfuss ist Stv. Chefredakteurin der TIROLERIN und für die Ressorts Beauty, Style und Gesundheit zuständig. Sie mag Parfums, Dackel und Fantasyromane. In ihrer Freizeit findet man sie vor der X-Box, beim Pub-Quiz oder im Drogeriemarkt.
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