Filmszene "Drunter und Drüber" mit Julia Jentsch und Nicholas Ofczarek

Julia Jentsch in „Drunter & Drüber“: „Wenn ein respektvolles Miteinander gelingt, kann man Dinge entstehen lassen“

Chaos und Gänsehautpotenzial

8 Min.

© Prime Video

Wie viel Schmäh verträgt der Tod? Wie viel dürfen Kids über das Privatleben ihrer Eltern wissen? Julia Jentsch im Interview zum Start der Comedyserie „Drunter & Drüber“ und des Kinofilms „Was Marielle weiß“.

„Das wird ein Spitzentag, das spüre ich!“, zwitschert Ursula Fink fröhlich in die Sonne, während sie flotten Schrittes Heli Wondratschek überholt. Gerne würde er der nervigen Neuen davonfahren, die kleine Steigung bremst aber seinen Golfwagen aus; ihm bleibt nichts anderes über, als sich und die Welt mit einem missmutigen Blick zu strafen. Ungewohnt ist an diesem Bild so einiges.

Julia Jentsch und Nicholas Ofczarek standen schon einmal gemeinsam vor der Kamera, ihre beiden Blicke waren dabei zumeist viel finsterer: Sie waren das Erfolgsduo der vielfach ausgezeichneten Krimiserie „Der Pass“ (Sky, Staffel 1 bis 3). Ursulas gute Laune und die köstliche Situationskomik sind aber auch in diesem Setting zumindest nicht selbstverständlich, die beiden befinden sich diesmal am Friedhof Donnersbach. Und das ist erst der Anfang einer neuen Ära. Ursulas brachiale Kreativität scheint keine Grenzen zu kennen, wenn es darum geht, den friedlichen Ort „rentabler“ zu machen und „attraktivere Angebote“ – Spoiler: Wie wär’s mit einer Hüpfburg? – zu erfinden, um ihn vor dem Aus zu bewahren.

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Der Titel „Drunter & Drüber“ steht für das daraufhin ausbrechende Chaos – und für die beiden Welten vor und nach dem Tod, an die sich Drehbuchautorin Judith Westermann und Regisseur Christopher Schier mit einem feinen Schmäh heranwagen. Am 9. Mai startet die Comedyserie via Prime Video, seit Ende April ist Julia Jentsch auch in den österreichischen Kinos mit „Was Marielle weiß“, einem Streifen mit gutem Gänsehautpotenzial.

Filmemacher Frédéric Hambalek schenkt dem Teenie Marielle über Nacht eine verhängnisvolle Superkraft: Sie sieht plötzlich alles, was ihre Eltern in ihrer Abwesenheit so treiben. Spannendendes und sehr aktuelles Detail: Ein Babyphon brachte Hambalek darüber ins Grübeln, wo, wie und in welcher Form heutige Eltern ihre Kinder überwachen und kontrollieren können (mehr dazu auch im Artikel „Sehnsucht nach Sicherheit“, ab Seite 92). Für seinen Film dreht er die Seiten um; mit „Was Marielle weiß“ gelingt eine fesselnde, aufwühlende Familienstory mit einer feinen Prise Humor.

Julia Jentsch im Interview

Zunächst zu „Drunter & Drüber“: Hättest du gerne Ursula Fink als Freundin?

Wenn man einen Menschen näher kennt und Einblick in seine Stärken und Schwächen hat, kann man damit umgehen. Sie kann sicher eine gute Gesprächspartnerin und Kollegin sein, aber sie hat durchaus problematischeSeiten und man weiß zunächst nicht, woran man bei ihr ist.

Was mochtest du an den Dreharbeiten?

Ich war sehr neugierig darauf, am Friedhof arbeiten zu dürfen, und es hat mich gereizt, eine Figur zu spielen, die sich in diesem Umfeld mit einer gewissen Gutlaunigkeit und Chuzpe bewegt. Sie hat Vertrauen, dass sich die Dinge schon regeln lassen werden.

Hattest du auch eine gewisse Scheu, am Friedhof zu spielen?

Ich war positiv eingestellt und schon fasziniert, als ich Bilder gezeigt bekam (gedreht wurde am Hernalser Friedhof und am Otto Wagner Areal, Anm.). Die Faszination hörte auch nicht auf, als wir dort waren: Man konnte sehen, wie viele alte Gräber es dort gibt und wie individuell sie gestaltet sind. Da fragt man sich, wer die Menschen wohl waren, die nicht mehr leben und wer zu ihren Gräbern geht. Man sieht sie allein oder in Gruppen kommen, das ist auch etwas Schönes, wenn sich das so verbindet: das Leben, das noch stattfindet, Trauer und Freude, und Menschen, die einander dort begegnen. Auch wenn es aus einem nicht schönen Grund ist, auf diese Weise entsteht auch immer etwas Neues. Ich mochte diesen Drehort sehr, auch die Ruhe, die Bäume, die ganze Natur.

Der Tod ist bei uns mit Tabus und viel Schweigen belegt, in „Drunter & Drüber“ darf gelacht werden. Sollten wir vielleicht um einen offeneren Umgang bemüht sein?

Ich glaube schon, dass es der Gesellschaft und jeder einzelnen Person helfen könnte, sich so offen wie jede:r das Bedürfnis hat, austauschen zu können. Unsere Rituale finde ich sehr reduziert. Es gibt in anderen Kulturen beispielsweise gemeinsame Trauerrituale, die über Tage gehen, die das Weinen und das Feiern verbinden. Wenn man an so einem Ort länger arbeitet, denkt man tatsächlich über solche Dinge nach. Ich hätte das Bedürfnis nach anderen, neuen Formen. Klar, es geht um Prozesse, die jede:r allein durchlebt, aber sie mehr teilen zu können, wäre schön. Bei uns geht man dunkel gekleidet zum Begräbnis und danach oft alleine nach Hause. Wenn es vielleicht noch ein gemeinsames Essen gibt, halte ich das schon für den wichtigsten Teil am Trauerritual, wie ich es kenne. Unser Regisseur Christopher Schier erzählte uns, dass er einmal erlebt hat, wie eine Familie einen Tisch neben das Grab gestellt und dort gegessen hat. Ich fand das eine fantastische Idee.

Du und Nicholas Ofczarek erneut als Duo in einer Serie: Worin besteht die Magie zwischen euch?

Nicki ist ein super professioneller, spielfreudiger und kreativer Kollege, ich habe es schon beim „Pass“ sehr genossen, mit ihm zu arbeiten. Am letzten Drehtag hat er zu mir gesagt: „Naja, Julia, das wird’s jetzt wohl gewesen sein, danach besetzt uns niemand mehr zusammen.“ Wir kennen das auch selten und haben das bedauert. Umso mehr haben wir uns gefreut, als wir gefragt wurden, ob wir diesmal Lust hätten, etwas Fröhliches zu machen. Warum es so gut klappt, wenn wir zusammenspielen, kann ich nicht sagen. Manchmal ist es einfach das, was man Chemie bezeichnet.

Im Hinblick darauf, dass es aktuell viel Unversöhnlichkeit in der Welt gibt: Was braucht es, damit Menschen gut miteinander können?

Respekt. Ich meine nicht Ehrfurcht und auch nicht in einem hierarchischen Sinne, sondern einfach Respekt vor dem anderen Menschen, der eine andere Meinung haben darf. Es braucht eine Offenheit, um die andere Person zu hören. Erst dann kann man schauen, ob man neue Wege oder Kompromisse findet. Wenn ein respektvolles Miteinander gelingt, kann man Dinge entstehen lassen.

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Apropos Zuhören. Du spielst im neuen Kinofilm „Was Marielle weiß“ die Mutter einer Teenagerin, die plötzlich alles sieht und hört, was ihre Eltern in ihrer Abwesenheit tun und sagen. Wie war es, als du das Drehbuch das erste Mal gelesen hast?

Ich hatte davor noch nichts Vergleichbares gelesen. Spannend war auch die Art, wie es geschrieben war: irgendwie schnörkellos, es wurde nichts zu viel gesprochen. Es hatte etwas Überraschendes, auch ein bisschen Schockierendes, gleichzeitig war ich von den klaren Worten fasziniert. Dann hatte ich mit Frédéric Hambalek (Drehbuch und Regie, Anm.) ein tolles Gespräch: humorvoll, herzlich und zugewandt. Ich habe mich sehr gefreut, dass das Projekt stattfinden konnte – auch mit dieser meisterhaften Besetzung mit Laeni Geiseler, die Marielle spielt, und Felix Kramer.

Marielle ist mit ihrer Macht mal überfordert, mal hat sie Spaß daran. Du bist selbst Mutter: Was meinst du, wie viel Offenheit brauchen Kinder?

Das steht ganz weit vorne für mich. Was in unserem Film stattfindet, ist eine Art Versuch, es ist natürlich überspitzt, aber ich würde das unterstreichen, dass Kinder sowieso viel mehr mitbekommen, als die Eltern oft von sich geben. Sie spüren ihre Probleme, ihre Sorgen, eine Missstimmung. Deswegen sollte man sich um Ehrlichkeit bemühen. Verallgemeinern kann man das aber nicht, es gibt Situationen, in denen einem Kind nicht alles, was
rundherum passiert, zugemutet werden kann. Vielleicht findet man aber einen Weg, um nicht lügen zu müssen.

Im Film geht es quasi auch um den Verlust von Privatsphäre. Unsere Handys und Apps sind ständige Begleiter, wie viel Privatsphäre bleibt uns?

Ich war in diesen Dingen immer schon etwas hinterher. Das fing schon an, als es Anrufbeantworter – das ist ein Gerät aus der Steinzeit, die Jungen wissen gar nicht, was ich meine (lacht) – gab. Für mich war das schon schrecklich, das kann ich heute natürlich nicht mehr nachvollziehen. Ich finde aber all diese Dinge schwierig, die einen noch schneller verfügbar machen. Ich weiß, es hat für viele einen Nutzen, aber ich selbst bin nicht in irgendwelchen sozialen Medien, weil ich Angst habe, dass mich das überfordern würde. Nur Handy und E-Mail kann ich mich nicht entziehen.

Oft hören gerade junge Schauspieler:innen, dass sie aktiv auf Sozialen Medien sein sollen, um ihre Chancen auf gute Rollen zu erhöhen; manche setzt das unter Druck. Du spielst tolle Rollen, stresst es dich also auch nicht, dass du Soziale Medien nicht nutzt?

Stress habe ich nur, wenn es darum geht, irgendwo schnell etwas aufzunehmen und irgendwohin zu schicken, das ist dann für mich kompliziert. Ich wurde neulich gefragt, ob ich froh bin, dass ich in einer Zeit Schauspielerin wurde, in der es das alles noch nicht gab. – Das muss ich mir natürlich klarmachen: Ich weiß nicht, wie es wäre, wenn ich heute anfangen würde. Ich hoffe und wünsche jungen Schauspielenden sehr, dass hier nicht so ein Druck auf ihnen lastet. Wenn sie daran Spaß haben, diese Dinge für sich zu nutzen, soll es so sein, aber ich fände es schade, wenn das aus einem Zwang passiert.

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