Viel Geschrei um nichts? Die unterschätzte Macht der Fangirls
Hysterie und Male Gaze
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Warum der Einfluss von Fangirls und queeren Fangemeinden weit über die stereotype Ohnmachtsfantasie hinausgeht.
Kreischende junge Mädchen, die reihenweise in Ohnmacht fallen, sobald ihr Idol die Bühne betritt. Dieses Bild haben vermutlich viele im Kopf, wenn sie an sogenannte „Fangirls“ denken. Ein Bild, das tief in der Popkultur verwurzelt ist, oft belächelt und immer wieder abgewertet wird. Doch hinter dem Klischee verbirgt sich eine unterschätzte Macht. Fans sind heute nicht nur treibende wirtschaftliche Kräfte, sondern auch bedeutende politische Akteur:innen, deren Einfluss auf die Gesellschaft sich kaum mehr ignorieren lässt.
Nach der Absage der Taylor-Swift-Konzerte in Wien aufgrund eines Terrorverdachts, dauerte es nicht lange, bis sich die Kommentarspalten in den sozialen Medien mit abfälligen Bemerkungen füllten – auffallend oft von Männern, die keine Gelegenheit ausließen, ihre Verachtung für die „hysterischen“ Fans und die vermeintliche Seichtheit des Phänomens kundzutun.
Um Aussagen wie „Wenigstens bleiben uns diese Schreihälse erspart“ oder ähnliche Herabwürdigungen zu lesen, bedarf es keines langen Scrollens. Keine Überraschung für Verena Bogner, Musikjournalistin und Kennerin der Szene. Für sie geht es hier in erster Linie um das Thema Abgrenzung: „Man will mit Pop, einem weiblich dominierten Genre – sowohl was Acts als auch Fans angeht – nichts zu tun haben und beweisen, dass man selbst viel schlauer und kulturell gebildeter ist als die ‚Mainstream-Schäfchen‘.“
Auf Dauerschleife
„Fangirl“ – das klingt für viele immer noch nach einem abwertenden Begriff, einem Stempel für junge Frauen, die zu emotional oder irrational seien. „Es ist ein Bild, das vor allem von Männern geprägt wurde und Frauen abwertet. Dabei geht es oft darum, kulturelle Macht zu verteidigen und weibliche Begeisterung als minderwertig zu brandmarken“, erklärt Jörn Glasenapp, Professor für Literatur-, Medien- und Kulturwissenschaft an der Universität Bamberg.
Schon die Fans der Beatles in den 1960er-Jahren wurden in den Medien vor allem als liebeskranke Mädchen dargestellt, deren Verstand von Hormonen vernebelt sei. Ein Bild, das sich bis heute hartnäckig hält. „Was bei männlichen Acts wie den Beatles, aber auch aktuellen Stars wie Harry Styles noch dazukommt: die Ebene der vermeintlichen Verliebtheit. Man unterstellt den weiblichen Fans gerne, dass sie doch nur „hormongesteuerte“ Wesen seien, die in John, Paul oder Harry verliebt seien. Man spricht ihnen das Interesse für die Musik noch stärker ab, als dies vielleicht bei weiblichen Acts der Fall ist“, so Verena Bogner.
Weibliche Fangemeinden polarisieren immer.
Verena Bogner, Musikjournalistin
Zweischneidiges Schwert
Der deutsche Kulturwissenschaftler sieht die grundliegende Problematik aber vor allem in der geschlechtsspezifischen Ungleichbehandlung der Fans: „Es spielt weniger eine Rolle, wer auf der Bühne steht, sondern vor der Bühne. Wenn weibliche Fans jubeln, gilt das als weniger cool. Fans von Künstler:innen wie PJ Harvey, die viele männliche Anhänger haben, werden nicht so abgewertet. Es ist echt verrückt, aber genau diese geschlechtsspezifische Doppelmoral sehen wir immer wieder.“
Das bestätigt auch Musikjournalistin Verena Bogner, die sich intensiv mit Popkultur und Feminismus auseinandersetzt: „Weibliche Fangemeinden polarisieren immer, wenn sie dieses Ausmaß an kulturellem Impact erreicht haben. Oft wird ein Artist danach beurteilt, welche Fans er oder sie hat, und nicht aufgrund der Kunst an sich.“
Doch warum wird die Leidenschaft von weiblichen Fans so häufig als hysterisch bezeichnet, während männliche Begeisterung – etwa im Sport – als leidenschaftlich und bewundernswert gilt? „Der Male Gaze ist überall!“, bemerkt Verena Bogner treffend. Sie erklärt, dass auch der Kulturjournalismus stark männlich geprägt ist und dass Phänomene, die von Frauen getragen werden, oft ins Lächerliche gezogen werden. „Drehen bei einem Bruce-Springsteen-Konzert alle durch, wird man nur selten von ‚hysterischen Gen-X-Männern‘ lesen. Einfach weil die, die darüber schreiben, meist selbst aus dieser Gruppe stammen.“
Fandom als Wirtschaftsmacht
Ein Blick auf die Auswirkungen der abgesagten Taylor-Swift-Konzerte in Wien verdeutlicht die beeindruckende ökonomische Macht, die hinter den Fangemeinden steckt. Die Hotelbuchungen in Wien stiegen laut dem Vergleichsportal Check24 vor den geplanten Konzertterminen um satte 246 Prozent, und die Preise für Übernachtungen erhöhten sich im Durchschnitt um 22 Euro pro Nacht. Bei Veranstaltungen dieser Größenordnung würden vor allem Branchen wie die Hotellerie, Gastronomie und der Handel profitieren.
Während ihre Kritiker:innen sie noch belächeln, bestimmen Fangirls auch längst die Schlagzahl in der Musikindustrie. “„Fans sind Gott“, sagte einst der Musikproduzent Jack Antonoff, mit dem auch Taylor Swift immer wieder zusammenarbeitet. Sie finanzieren ganze Karrieren, kurbeln die Wirtschaft an und setzen gesellschaftliche Impulse“, so Bogner.
Politische Gamechanger
„Was vielen noch nicht bewusst ist, ist, dass Fangemeinden auch eine enorme politische Kraft entfalten können“, erklärt Jörn Glasenapp. Auch bei der aktuellen Präsidentschaftswahl in den USA könnte der Einfluss von Fangemeinden besonders spürbar werden. So äußerte sich Taylor Swift nach der TV-Debatte von Kamala Harris und Donald Trump auf Instagram und verkündete, dass sie ihre Stimme der Demokratin geben werde.
Der Kulturwissenschaftler verdeutlicht, dass die Unterstützung durch prominente Persönlichkeiten wie Taylor Swift, Charli XCX oder Beyoncé in sogenannten Swing States entscheidend sein könnte: „In den umkämpften Swing States kommt es oft nur auf wenige Tausend Stimmen an, die darüber entscheiden, wer gewinnt. Kommt dann jemand wie Taylor Swift ins Spiel, die eine riesige Fangemeinde hat und die ihre Plattform nutzt, um politisch Einfluss zu nehmen, kann das tatsächlich Wahlentscheidungen beeinflussen. Das zeigt, wie bedeutend diese Fangemeinden über den Bereich der Popkultur hinaus sind.“
Safe Spaces
Die Bilder der Swifties in der Wiener Corneliusgasse, die nach der Konzertabsage trotz allem gemeinsam feierten und sich gegenseitig unterstützten, verdeutlichen eindrucksvoll, welchen emotionalen und sozialen Rückhalt Fangemeinden bieten können. Verena Bogner beschreibt diesen Raum als einen unverzichtbaren Zufluchtsort: „Fan-Communitys sind besonders für Mädchen, Frauen und queere Menschen ein ganz besonderer Ort, an dem sie aufgefangen werden und spüren, dass sie mit ihren Interessen nicht alleine sind. Dass es noch viele andere gibt, die dieselben Dinge wie sie mögen, auch wenn ihnen die Welt gerne einredet, dass sie einen schlechten Musikgeschmack und eh keine Ahnung haben.“
Wurden junge Mädchen und Frauen für ihre Fanliebe in der Vergangenheit meist verurteilt und belächelt, übernehmen sie heute zunehmend die Kontrolle über ihre eigene Identität. „Die Kritikerin Jessica Hopper sagte einmal: ‚Ersetze das Wort Fangirl durch Expertin und schau, was passiert.‘ Genau als das sollten wir weibliche Fans viel öfter betrachten: als interessierte, gut bewanderte Musikkenner:innen“, betont Verena Bogner. Sie sieht, dass der Begriff Fangirl immer öfter als positive Selbstzuschreibung verwendet wird: „Diese Entwicklung freut mich sehr, weil wir das Attribut Fangirl stolz vor uns hertragen sollten.“
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MEHR ÜBER DIE REDAKTEURIN:
Als Redakteurin der WIENERIN erkundet Laura Altenhofer gerne die neuesten Hotspots der Stadt. Besonders angetan hat es ihr jedoch die vielfältige Musikszene Wiens. Ob intime Clubkonzerte oder große Festivalbühnen – man findet sie meist dort, wo die Musik spielt.
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