Feministische Pornografie: Gekommen, um zu bleiben
Die männerdominierte Mainstream-Pornografie macht es Frauen schwer, Angebote nach ihrem Geschmack zu finden. Jedoch ist immer mehr feministische Pornografie auf dem Vormarsch.
© Pexels/Anna Shvets
Noch gar nicht lange ist es her, da musste man sich durch einen dunklen Vorhang zu den hinteren Regalen in der Videothek schleichen, um sie zu finden: Pornos. Mittlerweile ist Pornografie durch das Internet deutlich zugänglicher geworden – nur mit ein paar Klicks findet man ein schier unendliches Angebot an erotischer Literatur, Filmen, Hörbüchern und Co.
Das Vorurteil, dass sich nur Männer für Pornografie interessieren, ist dabei auch längst veraltet. Laut einer Statista-Umfrage zu Pornokonsument:innen hat die Nutzung durch Frauen in den letzten Jahren stark zugenommen. Immer mehr ethisch und feministisch produzierte Pornografie führt dazu, dass Frauen und queere Menschen sich von Pornografie angesprochen fühlen.
Wissenschaft statt Scham.
Eine, die bereits seit Jahren das Feld der Pornografie erforscht, ist die unabhängige Pornowissenschaftlerin Madita Oeming. „Auch wenn Pornografie eine alltägliche Praxis ist, ist sie immer noch mit viel Scham belegt“, erklärt sie. „Wir haben als Gesellschaft sowieso nicht gelernt, über Sex zu sprechen, und bei Pornos kommt noch eine Schippe Scham obendrauf.“
Grund dafür seien unsere Fantasien – die meist extremer und normverletzender sind als unsere gelebte Sexualität: „Was uns im Porno erregt, passt oft nicht mit unseren Werten, unserem Selbstbild zusammen. Nicht auszudenken, andere würden von dem Stiefmütter-Video, den Pisse-Spielchen oder dem Tentakel-Porno erfahren, der uns so erregt.“ Jedoch ergebe sich so nur ein Teufelskreis: „Viele Menschen haben Angst vor Abwertung und behalten ihre Pornofantasien für sich. Aber wenn wir nicht darüber reden, können wir auch nie herausfinden, dass wir mit unseren vermeintlich ‚komischen‘ Fantasien eigentlich gar nicht allein sind“, berichtet Oeming.
Individuelle Unterschiede.
Frauen hätten keine grundsätzlich anderen Pornofantasien als Männer, berichtet die Wissenschaftlerin: „Befragungen und Klickzahlen auf großen Pornoportalen zeigen, dass beim Pornonutzungsverhalten die individuellen Unterschiede viel größer sind als die geschlechterspezifischen.“
Bei heterosexuellen Frauen zeige sich jedoch eine auffällig große Beliebtheit für schwule Pornografie: „Es scheint, dass die sexuelle Inszenierung der Männerkörper, die im Hetero-Porno häufig auf den erigierten Penis reduziert werden, besonders reizvoll ist.“
Die weitverbreitete Annahme, dass Frauen in Pornos vor allem Romantik und ausgefeilte Storylines sehen wollen, sei hingegen nur ein weiteres Geschlechterstereotyp: „Selbst im Porno wird Frauen ihre Lust an Sex ohne Liebe abgesprochen, das ärgert mich.“ Mit der Vermarktung von „Frauenpornos“ würden oft weitere Sexismen reproduziert. „Mir ist aber bewusst, dass es manchen Frauen hilft, sich auf bestimmte Inhalte oder überhaupt erst einmal auf Pornos einzulassen. Das finde ich wiederum wertvoll“, so Oeming.
Nicht jeder Mainstream-Porno ist automatisch unethisch oder antifeministisch.
Madita Oeming, Pornowissenschaftlerin
Ethische Standards.
Aber was genau unterscheidet nun feministische Pornos von Mainstream-Pornografie? Neben Gleichberechtigung, mehr Diversität und der Einhaltung persönlicher Grenzen vor der Kamera stecken auch abseits des Spotlights viele Frauen hinter den Produktionen – ob als Regisseurin, Produzentin oder Kamerafrau. Außerdem steht feministische Pornografie meist für klare Arbeitsverträge und faire Bezahlung aller Beteiligten. Pornografie nur anhand ästhetischer und filmischer Standards in „gut“ und „böse“ einzuteilen, sei laut Oeming fatal: „Nur weil ein Porno besonders schön oder künstlerisch hochwertig ist, macht ihn das nicht automatisch feministischer, und nicht jeder Mainstream-Porno ist automatisch unethisch und antifeministisch – diese Annahme finde ich gefährlich.“
Spielplatz voller Fantasien.
Vorreiterinnen für feministische Pornografie sind unter anderem die schwedische Regisseurin Erika Lust, die sich bereits seit einigen Jahren auf dieses Genre spezialisiert hat, oder die deutsche Filmemacherin Petra Joy. Auch Online-Plattformen wie Femtasy oder CHEEXS, die erotische Audiogeschichten anbieten, erfreuen sich immer mehr Anmeldungen.
„Pornos sind in erster Linie Masturbationshilfen und Solosex ist für mich eigentlich immer ein feministischer Akt. Er macht uns unabhängig und hilft, unsere Körper und sexuellen Bedürfnisse kennenzulernen“, so die Pornowissenschaftlerin abschließend. „Außerdem können Pornos im besten Fall als ein Spielplatz sexueller Fantasien dienen, auf dem wir von all dem träumen dürfen, wofür wir in der realen Welt Slutshaming erfahren würden – was sehr befreiend sein kann.“
Inspiration gesucht?
1. Xconfessions:
Ein Projekt der schwedischen Regisseurin Erika Lust, bei dem sie die erotischen Fantasien von Menschen aus der ganzen Welt in Kurzfilmen umsetzt.
2. CHEEX:
Divers, lustvoll und einvernehmlich: Unter „getcheex.com“ finden sich Erotikfilme, spannende Audiogeschichten sowie interessante Aufklärungsartikel.
3. Beducated:
Lustvolle Sexual Education direkt im eigenen Schlafzimmer: Auf der Online-Plattform erklären Sex-Coachinnen in über 100 Videokursen Themen rund um Sex und Beziehungen.
4. Femtasy:
Die Website „Femtasy.com“ geht dorthin zurück, wo die Lust beginnt: ins Gehirn. Um die 7.000 erotische Tonaufnahmen sorgen für ein knisterndes Kopfkino bei den Hörer:innen.
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MEHR ÜBER DIE AUTORIN DIESES BEITRAGS:
Tjara-Marie Boine ist Redakteurin für die Ressorts Business, Leben und Kultur. Ihr Herz schlägt für Katzen, Kaffee und Kuchen. Sie ist ein echter Bücherwurm und die erste Ansprechpartnerin im Team, wenn es um Themen wie Feminismus und Gleichberechtigung geht.
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