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Der Verein „Catcalls of Graz“ setzt sich gegen verbale sexualisierte Belästigung ein und kreidet diese an – im wahrsten Sinne des Wortes. Obfrau Anna Majcan dazu im Gespräch.
Catcall ist eigentlich ein viel zu schönes Wort für den Übergriff, den es beschreibt. Zu den Aktivitäten des Vereins haben wir Anna Majcan zum Interview getroffen. Die gebürtige Südoststeirerin war jahrelang in der Gastronomie tätig und hat viel Belästigung erlebt. Sie ist Mitgründerin und Obfrau von „Catcalls of Graz“ und Geschäftsführerin und Frauensprecherin des Grazer Frauenrats.

Was sind die Ziele eures Vereins?
Anna Majcan: Wir sind ein feministischer, antisexistischer und aktivistischer Verein, der auf verbale sexuelle Belästigung im Alltag und auf der Straße aufmerksam macht. Unsere Kernarbeit umfasst, dass Betroffene von Catcalling uns ihre Erlebnisse schicken und wir dann an den Ort des Geschehens gehen und dort (an öffentlichen Plätzen) mit Straßenkreiden die Kommentare oder Ereignisse aufschreiben. Somit machen wir auf die Problematik aufmerksam und geben den Betroffenen ihre Stimme zurück. Verbale sexuelle Belästigung ist in Österreich nicht strafbar, das heißt, für die Sender:innen von Catcalls gibt es keine rechtlichen Konsequenzen.
Woher stammt die Idee?
Ursprünglich aus New York. Eine Studentin hat dort angefangen, immer, wenn sie gecatcallt wurde, mit Straßenkreide direkt vor Ort anzukreiden. Sie hat Fotos von diesen Kreidemalereien gemacht und auf Instagram veröffentlicht. Und so ist die „Chalk Back“-Bewegung entstanden, also quasi „zurückkreiden“. Das ist viral gegangen und immer mehr Städte haben das Konzept übernommen, aktuell ungefähr 60. In Graz gibt es uns seit 2019, in Österreich gibt es weitere Vereine in Leoben, Wien, Innsbruck und anderen Städten. Immer mehr nehmen teil, weil die Problematik leider nicht abnimmt. Im Gegenteil, viele merken erst jetzt, dass Catcalling kein Flirten ist, sondern dass es wirklich um die Erniedrigung von Frauen geht.
Was sind Catcalls genau?
Anzügliche, objektifizierende, sexualisierende Kommentare, Zurufe, aber auch Geräusche wie Kussgeräusche oder Pfeifen. Es können aber auch eindringliche Blicke sein, die einen „ausziehen“. Catcalling ist niemals ein Dialog auf Augenhöhe, kein Kompliment, sondern eine Machtdemonstration. Es kann zu einem traumatischen Erlebnis für die Betroffenen werden und auch dazu führen, dass sie versuchen, ihr Verhalten zu ändern, indem sie gewisse Orte meiden, sich überlegen, was sie anziehen oder wann sie rausgehen. Dabei ist es so, dass Catcalling immer passieren kann, egal zu welcher Tageszeit, überall – ob in öffentlichen Verkehrsmitteln, auf der Straße, im Park, in Cafés – und unabhängig davon, wie man sich kleidet. Zu sagen, man müsse damit rechnen, wenn man sich aufreizend anzieht, wäre Victim Blaming oder eine Täter-Opfer-Umkehr. Alle Menschen können von Catcalling betroffen sein, da gibt es teilweise auch Verschränkungen mit Rassismus, Queerfeindlichkeit oder Migrant:innenfeindlichkeit.
Werdet ihr als Aktivist:innen beim Ankreiden oft angesprochen?
In den Anfangsjahren vermehrt, weil es da total neu war. Mittlerweile haben schon so viele mitbekommen, dass es das gibt, dass wir weniger angesprochen werden. Aber am Anfang wurde teilweise in der Nacht angekreidet, weil es so viele Beschimpfungen gab währenddessen, von „Scheiß Feministinnen“ bis zu „Den Spruch merke ich mir für das nächste Mal“. Es gibt auch Frauen, die überhaupt kein Verständnis für unsere Arbeit haben. Vermutlich auch Selbstschutz, denn ich kann mir vorstellen, dass es schwierig ist, sich einzugestehen, dass man vielleicht jahrelang sexuell belästigt worden ist und die vermeintlichen „Komplimente“ nicht immer positiv gemeint waren. Schön ist, wenn wir auf Instagram Nachrichten von Männern bekommen, die sagen: „Voll super, dass ihr das macht. Ich war mir nicht bewusst, dass dieses Verhalten problematisch ist.“ Also mit den Jahren unserer Tätigkeit tut sich was in den Köpfen der Menschen.








Wie viele Mitglieder hat der Verein?
Circa 20 Aktivist:innen. Neben dem Ankreiden machen wir auch andere Projekte, die unserem Zweck entsprechen, also der Aufklärung über verbale sexuelle Belästigung. Wir sind auch offen für weitere Mitglieder – einfach via E-Mail oder Instagram melden oder zu einem unserer monatlichen Stammtische kommen.
Wie viele Catcalls erreichen euch pro Monat?
Das schwankt sehr stark, je nach Jahreszeit oder auch wie viel wir in der vorangegangenen Zeit angekreidet haben. Meist sind es mehrere pro Monat.
Habt ihr Tipps, wie man auf Catcalling reagieren kann?
Das ist sehr schwierig, weil es ganz individuell ist, wie man darauf reagieren möchte und kann. Meistens wird man davon ja überrumpelt und ärgert sich nachher, wie man reagiert hat oder dass man in dem Moment nicht schlagfertig war. Wichtig ist, dass man auf die eigene Sicherheit achtet. Es macht einen Unterschied, ob man tagsüber an einem belebten Platz gecatcallt wird oder in der Nacht auf einer leeren Straße. Da fühlt man sich vielleicht sicherer, wenn man es ignoriert. Ansonsten kann man reagieren und sagen: „Das ist Belästigung.“ Und die Leute direkt ansprechen, wenn Menschen rundherum sind, etwa: „Sie in der roten Jacke, belästigen Sie mich nicht.“ Da gibt es dann auch manchmal Solidarität von anderen. Oder die Person bitten, das Gesagte zu wiederholen – das bringt die meisten aus dem Konzept. Man kann also versuchen, Catcaller:innen zu irritieren und ihnen ein negatives Gefühl zurückgeben. Dazu habe ich noch einen schrägen Tipp: ein Tiergeräusch zu machen, wenn man gecatcallt wird, zum Beispiel Bellen.
Was ratet ihr Betroffenen nach Catcalling?
Darüber zu sprechen. Das Erlebte jemandem mitzuteilen, kann sich positiv auf die Psyche auswirken. Betroffene können sich auch an uns wenden, uns das Erlebte schreiben/erzählen, und wir hören ihnen zu. Viele wollen sich einfach mitteilen und hören, dass sie nicht schuld sind. Wenn man solche Erfahrungen teilt, auch mit Freund:innen oder der Familie, spürt man auch Solidarität untereinander. Sonst kann man sich etwa auch an die Antidiskriminierungsstelle wenden oder die „BanHate“-App verwenden, in der man Hassrede melden kann. Auch die Gleichbehandlungsanwaltschaft wäre eine Anlaufstelle, sie bietet auch ein Online-Tool, mit dem man, auch anonym, Catcalling melden kann.
In anderen Ländern wie Frankreich ist Catcalling ein Straftatbestand. Wie schätzt du die Chancen ein, dass sich da in Österreich auch etwas tut?
Das kommt ganz darauf an, wie sich die Regierung entwickelt. Ich habe das Gefühl, dass Catcalling zwar gesellschaftlich mehr und mehr diskutiert wird, aber auf parteipolitischer Ebene fehlt da noch Bewusstsein und Wille, etwas am Status quo zu verändern. Wir haben 2021 eine Petition gestartet, um Catcalling auch in Österreich strafbar zu machen. Damals haben wir unser Unterschriftenziel aber leider nicht erreicht. Und ich glaube, dass auch der Zeitpunkt 2021 noch nicht reif war. Ich bezweifle, dass die Politik von alleine handeln wird – wir brauchen da auf jeden Fall auch den Druck der Zivilgesellschaft, also von uns allen.
Catcalls: Weiterlesen & informieren
www.catcallsofgraz.at
www.antidiskriminierungsstelle.steiermark.at
www.gleichbehandlungsanwaltschaft.gv.at
www.chalkback.org
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Mehr über die Autorin dieses Beitrags:

Betina Petschauer ist Redakteurin bei der STEIRERIN und hauptsächlich für die Ressorts Genuss, Leben, Freizeit, Menschen und Emotion zuständig. Als Foodie zieht sich die Leidenschaft für Essen und Trinken durch alle Bereiche ihres Lebens. Daneben schlägt ihr Herz für Serien, Filme und Bücher, die sie in der Rubrik „Alltagspause“ auch regelmäßig rezensiert.
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