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Erika Krafft schildert in ihrem neuen Buch anhand ihrer persönlichen Erfahrungen, wie Betroffene von Krebs ihre eigene Sinnlichkeit wiederentdecken können.
Erika Krafft hat eine beeindruckende Lebensreise hinter sich. Mit 15 Jahren kam sie von Ungarn nach Österreich, studierte hier und in Schottland, wurde Steuerberaterin, Bilanzbuchhalterin und Unternehmensberaterin sowie Geschäftsführerin mehrerer Firmen. Nebenbei verwirklichte sie sich als Yoga- und Qigong-Lehrerin. Mit 45 Jahren dann der Wendepunkt. Beim entspannten Sitzen in der Badewanne ertastete sie einen Knoten in der Brust und Krebs wurde diagnostiziert. Wie sich ihr Leben veränderte, hat sie in zwei Büchern verarbeitet.
Wie ist es nach der Entdeckung des Knotens für Sie weitergegangen?
Erika Krafft: Ich bin sofort zum Arzt gegangen, nach vier Tagen hatte ich bereits Mammografie und Ultraschall durch und die Klarheit: Ich muss weiter zur Brustambulanz. Schnell war klar, dass es etwas Bösartiges ist. Es hat dann ein paar Wochen gedauert – und diese Unsicherheit war für mich das Allerschlimmste –, dann wurde entschieden: Es muss eine großflächige Abnahme der Brüste und der Eierstöcke gemacht werden, denn ich hatte die Genmutation BRCA1. Dabei hat man ein 85-prozentiges Risiko für Brustkrebs und ein 65-prozentiges Risiko für Eierstockkrebs. Innerhalb von sechs Wochen nach der Feststellung des Knotens hatte ich schon die Operation und dass das so schnell ging, hat glaube ich mein Leben gerettet. Ich bin dem österreichischen Gesundheitssystem sehr dankbar. Hinterher wurde mir eine Chemo empfohlen, weil das Usus ist, auch wenn ich keine Krebszellen mehr im Körper hatte. Ich mache seitdem eine Antihormontherapie.
Was bedeutet das?
Krebszellen, vor allem bei Brust-, Eierstock- und Prostatakrebs, reagieren manchmal stark auf Hormone. Es wird getestet, ob das der Fall ist, und dann versucht man, die Hormone zu blockieren, damit sich die Krebszellen nicht wieder ansiedeln. Die Aromatase-Hemmer führten dazu, dass meine Östrogen-Produktion komplett blockiert wurde. Dadurch kam ich in einen verfrühten und sehr, sehr starken Wechsel. Die Nebenwirkungen waren Gelenkschmerzen, Abnahme der Knochendichte, Schlafstörungen und alle Wechselbeschwerden, die man normalerweise hat, nur geballt.
Und diese Erfahrungen haben Sie in Ihrem ersten Buch „Die kraffftvolle Heilung“ verarbeitet?
Ja, es begleitet von der Diagnose bis zur Nachsorge. Es ist das Buch, das ich mir gewünscht hätte damals. Gemeinsam mit einem Molekulargenetiker gebe ich darin eine Übersicht über alle Therapiemethoden, die es in der westlichen Medizin gibt. Dazu kommt natürlich meine eigene Geschichte und Yoga- und Qigong-Übungen, die mir in den bestimmten Phasen geholfen haben. Und Komplementärmedizin: positives Stressmanagement, Immunsystem stärken, Ernährung und die Heilung der Identität.
Beim Nachfolger „Die kraffftvolle Sinnlichkeit“ liegt der Fokus auf deren Wiederentdeckung?
Ja, bei diesem Buch wurde ich von einer Sexualtherapeutin, die ich bei der onkologischen Reha kennengelernt habe, und einer Gynäkologin unterstützt. Zuerst einmal erkläre ich, welche Veränderung in einem gesunden weiblichen Körper passieren, etwa im Wechsel. Der zweite Teil widmet sich dem Krebs in Bezug auf Sexualität und Sinnlichkeit. Der dritte Teil gibt Anleitung, um die Sinnlichkeit nach einer Veränderung, ob Krankheit oder Geburt oder Wechsel, wiederzuentdecken. Und im vierten Teil sprechen Betroffene und ihre Partner:innen über das Thema – das finde ich besonders spannend, weil wir die Partner:innen oft nicht hören, und einige haben mir wirklich sehr offen geantwortet.
Warum ist Sexualität nach Krankheit wie Krebs so ein Tabuthema?
Sowohl Sexualität als auch Krankheit sind Themen, über die viele nicht sprechen. Das Sprechen über Sinnlichkeit ist etwas, was wir nicht können und erst lernen müssen. Ich musste es auch mal lernen, es ist nicht einfach. Außerdem waren oft eher ältere Damen betroffen, wo das nicht mehr so ein Thema war – oder man war froh, es überhaupt überlebt zu haben. Die Ärzte trauen sich nicht, darüber zu sprechen, und die Menschen trauen sich nicht, zu fragen. Heutzutage greift man diese Themen auch im Internet und über verschiedene Initiativen auf, um sie von Scham und Schuld zu befreien.
Wie kann man seine Sinnlichkeit nach Krebs wiederentdecken?
Zuerst muss man entscheiden, ob man in einem Moment Sinnlichkeit überhaupt zulassen möchte. Weil es gibt Phasen, insbesondere auch in der Krankheit, wo man sagt: Das interessiert mich überhaupt nicht, ich bin mit viel existenzielleren Themen beschäftigt. Aber irgendwann kommt dann vielleicht der Wunsch, und das ist meiner Meinung nach genauso in Ordnung wie das Nein davor. Das hat bei mir relativ lange gedauert. Dann darf ich mich mit meinem veränderten Körper auseinandersetzen, mich zuerst einmal im Spiegel so annehmen, wie ich bin. Wenn ich mich nicht annehme, wie kann ich dann meine Sinnlichkeit und mein Frausein leben? Zuerst brauche ich das Gefühl, eine begehrenswerte Frau zu sein, mit all meinen Narben. Viele Menschen nehmen ihre Narben als etwas Negatives wahr. Aber ich finde, wir können stolz darauf sein, dass wir da sind und dass wir das überlebt haben.
Welche Übungen kann man machen?
Selbstkenntnisübungen zum Selbstwahrnehmen und zum Neukennenlernen, ob das jetzt im Spiegel anschauen oder Berühren ist. Dazu brauche ich Sicherheit und Zeit. Außerdem verändert sich die Lust als solches. Bei mir ist meine Libido auf null gestellt worden.
Aber das heißt nicht, dass es so bleiben muss. Die eigene Lust wiederzuerwecken, das dauert, aber man darf damit spielen. Im Buch zeige ich dafür konkrete Übungen. Wenn man sich annimmt, wie man ist, dann kann man sich hineintrauen in das Partnerschaftliche. Dort kann man schauen: Was tut uns beiden gut, wie kann ich den anderen leiten, dass es mir wirklich passt.
Ihr abschließender Tipp für Betroffene von Krebs?
Ich glaube, es ist wichtig, zu wissen, dass man jederzeit etwas für sich tun kann. Ob das jetzt Sinnlichkeit betrifft, ob ich mir erlaube, Sonnenstrahlen auf meiner Haut wahrzunehmen. Und dieses „Ich kann etwas für mich tun, ich bin kein Opfer, egal in welcher Phase“ – das ist, glaube ich, etwas, was uns Kraft und Mut gibt.
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Mehr über die Autorin dieses Beitrags:
Betina Petschauer ist Redakteurin bei der STEIRERIN und hauptsächlich für die Ressorts Genuss, Leben, Freizeit, Menschen und Emotion zuständig. Als Foodie zieht sich die Leidenschaft für Essen und Trinken durch alle Bereiche ihres Lebens. Daneben schlägt ihr Herz für Serien, Filme und Bücher, die sie in der Rubrik „Alltagspause“ auch regelmäßig rezensiert.
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