Heidemarie Kriz, Architektin und Designerin aus Graz. © Daniel Willinger
Shopdesign: Die Grazer Architektin und Designerin Heidemarie Kriz revolutioniert mit ihren einzigartigen Shop-Konzepten den Retail-Bereich und hilft Einzelhändler:innen dabei, sich gegen die Online-Konkurrenz zu behaupten.
Eine schlichte Fassade, ein kunstvoll gestalteter Innenraum: Wenn die Grazerin Heidemarie Kriz an einem Projekt arbeitet, entstehen Räume mit Persönlichkeit. Daraus werden Erlebniswelten, die weit über gewöhnliche Shoppingerlebnisse hinausgehen. Aber was braucht ein Raum, um mehr als nur eine Verkaufsfläche zu sein? Für Kriz, die Architektin und Designerin ist, liegt die Antwort in der Mischung aus Kreativität, Klarheit und feiner Sinnlichkeit. Ihre Shop-Designs laden Kund:innen ein, sich in einer neuen Welt zu verlieren.
Flaniert man durch bekannte Stores wie Humanic, Palmers oder Nike, sehen wir Geschäftslokale, Möbelentwürfe und Visual Merchandising mit ihrer Handschrift: Die Designs und 360-Grad-Konzepte von der erfolgreichen Shop-Designerin sprechen unser Kaufverhalten gezielt an und animieren zum Wohlfühlshopping. Wir probieren Mode unter kunstvoll gestalteten Decken, schlüpfen in Schuhe auf kreativ geformten Sesseln und lassen uns von Farb- und Formgebung mehr über den Lifestyle der jeweiligen Marken erzählen. Shopping hat eben mit Emotion zu tun – und Emotionen wecken kann sie.
Du bist Shop-Designerin und Architektin. Wie hat deine Reise in die Welt des Einzelhandelsdesigns begonnen?
Heidemarie Kriz: Es begann während meines Studiums der Architektur an der TU Graz, als ich bei einem Wettbewerb teilgenommen habe, wo es um die Neugestaltung der Levi’s Shops in Österreich ging. Diesen habe ich dann für mich entschieden. Ich habe danach noch das HQ in Graz umgestaltet und auch viele Präsentationsmöbel für große Konzerne umgesetzt. Etwas später bekam ich die Möglichkeit, für Nike zu arbeiten. Auch wenn man meint, dass der Anteil an kreativen Möglichkeiten in globalen Konzernen gering ist, konnte ich für mich das Gegenteil beweisen. Mein Herz schlägt aber für Retail mit allem, was dazugehört, und das seit nunmehr über 27 Jahren.
Wie hat sich dieser Beruf über die Jahre für dich persönlich entwickelt?
Als ich damit begonnen habe, gab es den „Shop-Designer“ oder „Retail-Architekten“ noch nicht. Ich musste jedem erklären, was ich beruflich mache. Antworten wie „Du machst nur Shops?“ waren doch häufig. Zum Glück hat sich das inzwischen verändert. Für mich ist nicht das Entwerfen von Möbeln oder das Entwickeln eines Konzeptes für eine Brand das Reizvollste, sondern auch die Psychologie oder der Einsatz von KI, die zusätzlich viele neue Möglichkeiten offenbart.
Wie sieht dein Joballtag überhaupt aus?
Retail ist ein sehr schnelles Business, Umbauten von Samstagabend bis Montag, späterer Vormittag, sind da keine Ausnahme. Die Aufgaben sind so vielfältig, wie die Shops es sind. Der Start ist in der Regel eine Recherche. Diese ist unabhängig davon, ob wir ein Konzept für eine Brand oder einen Einzelhändler entwerfen, ob es sich um einzelne Möbelentwürfe handelt oder aber ob wir einen bestehenden Store aufwerten und zu mehr Performance verhelfen. Für alle Bereiche ist der Ist- Zustand das Fundament, um darauf aufbauen zu können. Darüber hinaus zählen natürlich die Lage, die Zielgruppe, die Brand-DNA und darüber hinaus noch einiges mehr zu den wichtigen Parametern, die wir erheben.
Du bietest eine 360-Grad-Beratung für Einzelhändler an?
Alles aus einer Hand reduziert die Fehlerquote, aber auch den zeitlichen Ablauf enorm. Nach über 200 Umsetzungen in Europa habe ich Experten, die alle relevanten Themen abdecken, an der Hand und wir besprechen die Punkte bereits zu einem frühen Zeitpunkt im Projekt. Das trägt dazu bei, zusätzliche Kosten zu minimieren. Mir persönlich geht es auch immer mehr um das Erlebnis am POS, um zu erreichen, dass Kunden gerne wiederkommen – wenn man so will, den Unterschied zum Onlinehandel herauszuarbeiten. Dazu bespielen wir gerne alle Sinne der Kund:innen, um dieses Erlebnis im stationären Handel zu verstärken.
Gibt es ein Projekt, das dir besonders am Herzen liegt?
Klar waren die drei Shops für Apple in Berlin am Kudamm bzw. in Straßburg und Lyon eine Herausforderung. Auch wegen der täglichen Telefonate mit den Kolleg:innen in Cupertino war es beinahe ein 24-Stunden-Erlebnis. Globale Marken haben ihre Vorgaben, am Standort gibt es dann eigene Regeln. Wie etwa in Berlin, als der Landlord seine Dachgeschoßwohnung während des Umbaus nicht verlassen hat, wir im Verkaufsraum alle Stützen entfernen und dafür Fachwerkträger von mehreren Metern unter der Dachwohnung einziehen mussten.
Am Herzen lag mir jedoch ein anderes Projekt: der exklusive Humanic-Store in Linz. Hier konnte ich für das Grazer Traditionsunternehmen meine Themen Handwerk und Tradition modernisieren und so umsetzen, dass der Shop heute, sieben Jahre nach der Eröffnung, noch immer modern, schön und zeitlos anzusehen ist.
Dein neuestes Projekt, der „Point of Sale Doctor“, bietet Online-Beratung für den Retail-Bereich?
Das ist mein „Corona-Baby“. Ich habe mir überlegt, welchen USP ich umsetzen kann, da ist klar herausgekommen, dass ich in Windeseile die Störfaktoren am POS beim Rundgang durch einen Shop sofort erkenne. Diese zu benennen und Verbesserungsmöglichkeiten zeitgleich anzubieten ist ein Mehrwert, den Kund:innen gerne annehmen. Das funktioniert nachhaltig, also online, sehr gut. Ich habe so bereits Kunden auch außerhalb von Europa, in Asien, beraten. Kürzlich konnte ich einen sehr gut gehenden Shop in Wien dabei unterstützen, noch mehr Umsatz zu generieren. Das war für die erfahrene Shop-Besitzerin verblüffend, weil sie sich das nicht vorstellen konnte, dass wenige Veränderungen viel bewirken.
Wie siehst du die Zukunft des Einzelhandels und welche Rolle wird die Digitalisierung dabei spielen?
Bei meinen letzten Reisen nach Tschechien konnte ich einen großen Fortschritt erkennen. Funktionierende Self-Check-out-Kassen sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel, ebenso der oftmalige Einsatz von Screens oder aber auch von digitalen Preisschildern. Hierzulande wird meiner Meinung nach zu viel über die Nachteile diskutiert, währenddessen es auch viele Vorteile dafür gibt.
Nachhaltigkeit ist ebenso ein großes Thema; wie lebt Handel heute nachhaltiges Shop-Design?
Wir verwenden gebrauchte Möbel und geben ihnen einen zweiten Auftritt. Dafür habe ich bereits bei Schließungen großartige Stücke ergattern können bzw. auch in den Lagerräumen der Shops einige Highlights gefunden. Die bewusste Auswahl der Materialien ist ein wesentliches Thema.
Inwieweit hat sich das Kaufverhalten verändert?
Man bemerkt natürlich, dass Kund:innen bereits gut über die Produkte informiert sind, hierbei spielen auch Social-Media-Plattformen eine große Rolle. Oftmals werden im stationären Handel die Größen eruiert, gekauft wird online. Wer hier ansetzt und Kund:innen den Einkauf nach Hause liefert bzw. durch exzellente Beratung punktet, kann mit vom Kuchen naschen. Wer heute im stationären Handel einen Mehrwert bietet, bleibt am Ball. Leider spielt heutzutage das Personalthema eine große Rolle, besonders in Österreich, gepaart mit laufenden Ausbildungs- und Schulungskosten, die kaum jemand gewillt ist zu übernehmen.
Und wie bleibst du selbst über die neuesten Trends in diesem Bereich informiert?
Ich beschäftige mich viel damit, reise sooft es geht in verschiedenste Städte Europas, aber auch nach NYC und lasse mich inspirieren bzw. nehme die Trends der jeweiligen Stadt wahr. Weiters besuche ich Fachmessen und tausche mich mit meinen internationalen Retail-Expert:innen-Kolleg:innen in Europa aus. Da ich immer wieder Vorträge u. a. bei großen Konzernen über die Zukunft des Handels halte, ist es ein MUSS, hier am Punkt zu sein und die Entwicklungen zu erkennen und auch bewerten zu können.
Du schreibst für Fachmagazine und bist Co-Host eines Retail-Podcasts. Welche Themen sind dir dabei wichtig mit einem breiteren Publikum zu teilen?
Zum einen sind es Trendläden in unterschiedlichen Städten, die finde ich recht rasch und zielsicher heraus. Zum anderen möchte ich gerne einen Überblick besonderer Shop-Formate Leser:innen näherbringen, die sie dann auch gerne besuchen. Bei unserem bi-weekly „Retail News Flash“-Podcast besprechen wir die News im Handel der vergangenen 14 Tage. Dabei werden Pressemitteilungen, Neueröffnungen, neue Konzepte, digitale Neuigkeiten, aber auch meist Lustiges aus der Kategorie Retail-Gossip in 30 Minuten zusammengefasst. Neuerdings werden Retail-Touren in Wien, aber auch in Nizza und in Venedig gerne gebucht – meist von Expert:innen aus Europa, aber auch von Privatpersonen, die Shopping lieben und um einen Überblick der besten Retail-Konzepte der jeweiligen Stadt zu bekommen.
Was würdest du jungen Designerinnen und Architektinnen raten, die eine Karriere im Einzelhandelsdesign anstreben?
Wichtig dabei ist es, neugierig zu sein. Ein Gefühl für Proportionen, Farben und Materialien ist natürlich ebenfalls sehr hilfreich. Ich rate, sich beim Einkaufen bewusst damit auseinanderzusetzen, warum gewisse Shops mehr Umsatz machen als andere. Ein breit gefächertes Interesse hilft im täglichen Leben, denn es fließen Themen wie Farbpsychologie, Materialkunde, Abläufe im Verkaufsprozess, Visual Merchandising, Kundenverhalten u. v. m in die tägliche Arbeit ein. Abseits vom Luxussegment, das seine eigenen Codes aufweist, ist es entscheidend, Shops so zu planen und zu gestalten, dass sie funktionieren.
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Die Autorin dieses Beitrags:
Yvonne Hölzl, Redakteurin der STEIRERIN, ist verantwortlich für die Rubrik Style und Wohnen. Neben ihrer Kreativität beim Schreiben zeigt sie auch handwerkliches Geschick, wenn sie handgemachte Strickwerke zaubert. In ihrer Freizeit ist die Naturliebhaberin mit ihrem Windhund Toto oft im Wald anzutreffen.
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