Klimaaktivistin Anja Windl im Gespräch

Die bekannte Klimaaktivistin im Talk.

5 Min.

© picturedesk.com / Alexander Pohl / SZ-Photo

Wann & warum hast du für dich persönlich realisiert, dass öffentlicher Aktivismus unumgänglich ist?

Anja Windl: Ich war in einem Seminar, in dem der Dozent unmissverständlich klargemacht hat, dass das Zeitalter des Anthropozäns – also dass der Menschen – in einem relativ kurzen Zeitrahmen das Ende bevorsteht, wenn wir weitermachen wie bisher. Die anschließende Diskussion der Studierenden darüber, ob es denn nicht besser sei. Das hat mich richtig emotionalisiert, ich bin anschließend mit einer Mischung aus Trauer, Wut und Unverständnis erstmal raus in den Garten der Universität und habe geweint. Dass unermessliches menschliches Leid einfach vermeidbar hingenommen wird – obwohl wir es ändern könnten. Wider besseren Wissens in der Apathie zu verharren, macht Mitschuld. Und der effektivste Hebel, der uns im Wissen des Regierungsversagens auf individueller Ebene zur Verfügung steht, heißt friedlicher Widerstand.

Was ist deine Bilanz aus rund zwei Jahren „Letzte Generation“?

Anja Windl: Aktuell ehrlicherweise Frustration. Jede Woche neue alarmierende Schlagzeilen: “die heißesten 12 Monate seit 125.000 Jahren”, “Katastrophale Folgen für Europa”, “der Amazonas Regenwald droht zu Kippen”, “Milliardenkosten durch Extremwettereignisse”, “Wir befinden uns Richtung 3 Grad Erderhitzung”, “3 Grad Erderhitzung wären das Ende der menschlichen Zivilisation”, “60.000 Hitzetote in Europa” – und was macht Kanzler Nehammer mit den Infos? Den Kopf noch tiefer in den Sand stecken. Wissenschaftliche Fakten ignorieren, obwohl es Menschen das Leben kostet. Dabei sehen wir, dass Menschen die Wahrheit zuzumuten ist, sie im Gegensatz zu Berufspolitiker:innen zu sozialgerechten Lösungen fähig sind. Bestes Beispiel hierfür: der einberufene Klimarat, repräsentativ zur österreichischen Bevölkerung ausgeloste Bürger:innen sind zu 93 Empfehlungen hin bis zur Klimaneutralität bis 2040 gekommen – allen voran Klimaschutz in die Verfassung. Zur Umsetzung fehlt es aber an Druck und Aufmerksamkeit und genau deswegen protestieren wir.

Was waren deine Erwartungen/Hoffnungen?

Anja Windl: Wollen wir unser geordnetes zivilisatorisches Leben aufrechterhalten, müssen wir jetzt als Gesellschaft die Notbremse ziehen. Aus der Geschichte zeigt sich, dass friedlicher ziviler Widerstand Gesellschaften anstoßen kann, die dringend notwendigen tiefgreifenden Veränderungen einzuleiten. Es ist die erfolgreichste Protestform – dass ich als Frau wählen kann, habe ich zivilem Ungehorsam zu verdanken. Die Besetzung der Hainburger Au, Zwentendorf: Protest wirkt. Wir befinden uns an einem einzigartigen Zeitpunkt der menschlichen Geschichte, an dem von unserem Handeln abhängig ist, ob wir nachfolgende Generationen für Jahrtausende in eine tödliche Erderhitzungsspirale schicken. Und unsere Lebensgrundlagen unwiederbringlich zu zerstören riskieren. Und für was? Damit sich einige Wenige die Taschen mit noch mehr Geld füllen können.

Gibt es zufriedenstellende Resultate bzw. mit welchen Entwicklungen hättest du nicht gerechnet?

Wir fungieren als Feueralarm der Gesellschaft. Weil wir uns als Menschheit in Höchstgeschwindigkeit Richtung Abgrund bewegen. Der piepsende Alarm nervt, ja – aber wenn das Haus brennt, endet weiterschlafen leider tödlich. Nicht aktiv zu werden ist die Zustimmung zum kollektiven Suizid. 150.000 Menschen die mit Fridays vor Future auf die Straße gingen: ignoriert. 73% der österreichischen Bevölkerung, die mehr Klimaschutz befürworten: ignoriert. Petition mit 400.000 Unterschriften für ein Recht auf Klimaschutz in die Verfassung: ignoriert. Deswegen brauchen wir unignorierbaren Protest um für unser Recht auf Überleben einzustehen, weil alles zuvor versuchte nicht die nötige Wirkung gezeigt hat.

Wie gehst du mit Verhaftungen und Gerichtsverhandlungen um?

Ich dachte mir nie, dass das mal mein Alltag sein würde – ich hatte selbst Albträume vom Schwarzfahren. Eingesperrt zu werden, wöchentlich mehrere Gerichtsverhandlungen zu haben, die finanzielle Sicherheit aufzugeben, Gewalt zu erleben: das alles zehrt. Aber ich könnte es mir nicht verzeihen, im Anbetracht dessen, dass sich gerade unsere Zukunft entscheidet, keine Verantwortung zu übernehmen. Durch Teilnahmslosigkeit mitzuwirken, dass Milliarden an Menschen ihre Heimat verlieren. Krieg um Ressourcen ausbricht, wenn kein Wasser mehr aus dem Hahn kommt, kein Essen mehr am Tisch steht – auch hier in Österreich.

Was macht das privat & psychisch mit einem?

Da bestehen ganz viele Gefühle parallel, ich bin bei Zeiten ehrlich verzweifelt und grantig – dass wir das überhaupt machen müssen. Wir sollten uns doch als Gesellschaft einig darin sein, möglichst vielen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen? Warum lassen die Menschen ihren Hass an uns aus, obwohl die fossile Brennstoffindustrie Schuld an der prekären Situation hat? Die Angst, längere Zeit in Haft zu verbringen. Aber auch das tiefe Vertrauen, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Die Hoffnung, dass wir als Menschheit besser sind, als uns aufzugeben. Die Dankbarkeit, für jegliche Unterstützung die wir erfahren.

Warum ist es notwendig, die Aktionen der LG trotz öffentlicher Ablehnung durchzuziehen?

Uns wird oft vorgeworfen, dem Klimaschutz einen Bärendienst zu erweisen – die Aussage kommt nachvollziehbarerweise von Laien, ich selbst fand das ankleben zu Beginn auch eher wahnsinnig. Hier muss man aber klar differenzieren. Expert:innen aus der Protest- & Bewegungsforschung betonen die Wirksamkeit disruptiver Protesttaktiken mehrheitlich. Insbesondere dann, wenn große Teile der Bevölkerung das grundsätzliche Anliegen der Proteste teilen.

Welche Formen von Aktivismus sind am sinnvollsten, um langfristig so viele Menschen wie möglich zu erreichen?

Anja Windl: Wir brauchen alles, alle, überall und am besten sofort. Protest muss und darf divers sein – was dabei aber unerlässlich ist: die Gewaltfreiheit. Das ist sowohl eine tiefe moralische Überzeugung als auch evidenzbasierte Strategie: Friedliche Bewegungen sind um ein Vielfaches erfolgreicher. Vom Schutz unserer Lebensgrundlagen sind wir übrigens alle abhängig, die nicht gerade das nötige Kleingeld für einen Bunker auf Neuseeland besitzen. Deswegen mein Rat: Protestiert, für eure eigene Zukunft.

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