© Stefan Kokovic
Eine Reise voller Transformation, Selbstausdruck und faszinierender Metamorphose. Wie eine Frau zu einem charismatischen Drag Mann wird und dabei die Grenzen von Geschlecht und Identität spielerisch neu definiert.
Lisa Marie sitzt vor dem Spiegel im oberen Drag-Stockwerk ihrer Grazer Galeriewohnung, im Hintergrund läuft ein Song von Harry Styles und es liegt Showtime in der Luft. Mit einem Schwamm in der einen Hand und Theaterschminke in der anderen legt sie los. Mit geschickten Bewegungen zaubert sie nach und nach einen perfekten Dreitagesbart in ihr zartes Gesicht, während das Lächeln der androgynen Beauty immer breiter wird. Jeder Strich, jede Kontur verwandelt sie ein Stückchen mehr, bis sie letztendlich als charismatischer Mann mit dem Künstlernamen Liam ChoClit in den Spiegel blickt.
A Journey into Drag
Wir sind in diesem Moment Voyeure, die die Magie des Dragking-Stylings in ihrer ganzen kreativen Pracht miterleben und den faszinierenden Weg, auf dem Lisa Marie die Grenzen von Geschlechterrollen und Schönheitsnormen herausfordert, mitgehen dürfen. Was bleibt, ist nur das Wissen, dass Lisa erst noch vor rund 60 Minuten eine Frau war, denn die männliche Rolle des queeren Machos beherrscht sie perfekt. Am Ende spielt die Grazer Dragking-Künstlerin mit einer gelungenen Illusion, mit der sie gesellschaftliche Normen aufbricht.
„Ich möchte, dass uns die Genderrollen zumindest bewusst werden – wenn man sie schon nicht loswird“, erklärt die Dragking-Künstlerin. „Diese realistische, nicht überzeichnete Illusion ist meine Leidenschaft. Und ich kann damit das Aufbrechen gesellschaftlicher Normen sichtbar machen.“ Seit 2020 macht Lisa Marie als Liam ChoClit die Bühnen als Dragking bunter, seit Kurzem sogar mit ihrer Verlobten „Pandora Nox“, die ebenfalls als AFAB-Dragqueen auf der Bühne zu Hause ist. Zusammen zeigt das Paar tänzerische Showeinlagen mit bildgewaltiger Lip-Sync-Performance und verkörpert damit ein künstlerisches Sprachrohr für das Auflösen von Stereotypen.
Es sei nicht immer einfach, mit ruhiger Hand den perfekten Dreitagesbart zu erschaffen. Was aber laut der Drag-Künstlerin helfe, sei ihre eigens angelernte Make-up-Technik, die in Schichten aufgetragen einen 3D-Effekt bewirkt. Abgeschaut hat sich Lisa Marie, wie sie während des Umstylings erzählt, den perfekten Bart bei echten Männern anstelle von internationalen Dragkings. Letztere seien ihr manchmal zu überzeichnet. Authentizität als Erfolgsrezept also. Dass sie als Drag-Artist erfolgreich ist, zeigte sich übrigens auch, als sie als Dragking „Liam ChoClit“ den STEIRERIN Award in der Kategorie „Die Entertainerin“ gewann.
Drag, das ist Kunstform und Therapie zugleich
Sie sind genau wie Dragqueens Teil der LGBTQIA+-Community und hinterfragen Gendernormen auf kreative Weise. Und es mache laut dem Dragking innerlich frei. Frei vom „Sein-Müssen“, von starren Rollenbildern und frei von festgefahrenen Wahrnehmungen. Dem Blick aus der anderen Geschlechterrolle wohnt nämlich nicht nur ein künstlerischer Aspekt inne, sondern auch das Erlebendürfen, wie es denn als Mann im Alltag so wäre. „Ich werde als Mann tatsächlich anders behandelt. Gehe ich als Liam durch die Stadt, kommt es mir oftmals wie ein gesellschaftliches Upgrade vor.“ Kein Catcalling, dafür Männergespräche auf Augenhöhe und mehr Platz für breitbeiniges Sitzen. Immerhin braucht auch der Penis aus Silikon, der sogenannte Packer, seinen Raum. „Und ja, mit Penis fühlt man sich doch irgendwie wichtiger“, gesteht Lisa Marie.
Sie schlüpft nun in die hautenge Chestplate, einem männlichen Silikon-Torso, um die pure Männlichkeit auf den Punkt zu bringen. Den darf man gerne sehen, daher bleibt das Hemd weit offen stehen. „Drunter wird es heiß, also schwitze ich damit sehr stark.“ Nachteile, die sie gerne für die perfekte Illusion und das Gefühl der Genugtuung, wenn sie in der Öffentlichkeit als realer Mann wahrgenommen wird, in Kauf nimmt. Wer „Liam ChoClit“ ist, wollen wir noch wissen: „Anfangs ein smarter Softie. Mittlerweile ein cooler Feminist mit dezenter Macho-Attitüde.“ Ganz nach ihren männlichen Rolemodels: brünette Männertypen mit Dreitagesbart und femininen Gesichtszügen. „Diese Männertypen finde ich persönlich optisch ansprechend.“ Wir übrigens auch.
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Über die Autorin dieses Beitrags:
Yvonne Hölzl, Redakteurin der STEIRERIN, ist verantwortlich für die Rubrik Style und Wohnen. Neben ihrer Kreativität beim Schreiben zeigt sie auch handwerkliches Geschick, wenn sie handgemachte Strickwerke zaubert. In ihrer Freizeit ist die Naturliebhaberin mit ihrem Windhund Toto oft im Wald anzutreffen.
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