Angst? Ja, bitte!

Angst ist ein unschönes Gefühl. Wie man mit ihr umgeht und warum sie eine Chance sein kann, zeigt Constanze Dennig in ihrem neuen Buch „Willkommen Angst“.

6 Min.

© David Payr

Constanze Dennig ist Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie mit langjähriger Erfahrung, aber auch Autorin von Theaterstücken, Drehbüchern, Romanen, Sachbüchern, Regisseurin und Produzentin zahlreicher Theaterprojekte. Nach dem Verfassen einer Krimi­reihe rund um die Protagonistin Alma Liebekind befasst sich die in Wien lebende Oberösterreicherin in ihrem aktuellen Buch mit der Angst. Große Namen wie Daniel Kehlmann, Thomas Raab und Christoph Waltz finden im Klappentext als Erstleser lobende Worte für das Werk. Im Gespräch erklärt die Autorin, wie man Angst überwinden und zu etwas Positivem machen kann.

Sie haben in Ihrem Alltag als Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie viel mit Angst zu tun. Kam daher der Gedanke, ein Buch darüber zu schreiben?
Natürlich spielen meine Erfahrungen in der Praxis eine Rolle. Und während der Corona-Lockdowns war auch das mediale Echo zum Thema sehr groß. Man hatte das Gefühl, alle fürchten sich. Und auch momentan haben viele Angst aufgrund der Klimakrise und des Ukraine-Kriegs. Meine Intention war, den Leser:innen zu zeigen, dass Angst nicht eine ausschließlich negative Empfindung ist, sondern dass sie auch etwas bewirken kann. Angst hat eine Funktion: Der Mensch versucht prospektiv, Katastrophen oder Unglücke zu vermeiden, und deswegen entwickelt er sich weiter. Ich wollte das Gefühl Angst entmystifizieren und darauf hinweisen, dass es uns immerhin unsere Zivilisation und unseren Wohlstand ermöglicht hat. Wir würden sonst immer noch in der Höhle sitzen.

Was passiert dann?
Der ganze Körper wird aktiviert: Der Blutdruck steigt, das Herz schlägt schneller, die Atemfrequenz steigt, man schwitzt – alles, damit maximale Leistungsfähigkeit erzeugt wird. Denn wir funktionieren nach wie vor wie ein Mensch vor 30.000 Jahren. Da wir aber diese extreme Aktivierung des Körpers nicht ausnutzen (können), bleiben die Stresshormone auf einem hohen Level, wir können sie nicht abbauen. Wenn wir in so einer Situation davonlaufen würden bis zur Erschöpfung, dann wäre die Angst weg.

Sie legen viel Wert darauf, zu betonen, dass Sie von einer nicht krankhaften Angst sprechen. Wann wird Angst krankhaft?
Krankhaft ist Angst dann, wenn sie mich in meinem Leben beeinträchtigt. Wenn ich keine Strategien und Kontrollmechanismen mehr habe, mit der Angst umzugehen. Aber das Empfinden, wann es mich beeinträchtigt, ist sehr subjektiv. Was für den einen noch normal ist, ist für die andere schon grenzwertig oder krankhaft.

Wie entsteht Angst?
Angst wird durch Reize ausgelöst, die uns teilweise gar nicht bewusst sind. Das können auch Gerüche sein oder Farben, die das Gehirn in einen Arousal-Zustand bringen. Dann werden Stresshormone ausgeschüttet, um alle Kräfte zu mobilisieren und die Lebensgefahr abzuwenden. Es werden Neurotransmitter ausgeschüttet, die verschiedenste Hirnareale aktivieren, vor allem die Amygdala, ein Areal, das für emotionale Reaktionen zuständig ist. Informationen erreichen den prä­frontalen Cortex, dort sollte diese Angst dann reguliert werden und man sollte merken, dass es eigentlich keinen Grund gibt, sich gerade zu fürchten. Wenn allerdings die Stresshormonausschüttung zu massiv ist, schafft es der präfrontale Cortex nicht mehr, das einzubremsen, und dann kommt es zu generalisierten Angstzuständen oder zu Panikattacken.

Gibt es ein Patentrezept, wie mit Angst umgegangen werden sollte?
Nein, ein generelles Rezept gibt es nicht. Aber es gibt schon Mechanismen, die man anwenden kann. Unser Gehirn ist zum Beispiel kein Multitasker, es kann immer nur eine Sache gleichzeitig. Wenn ich also grüble und dadurch Angst entsteht, dann kann ich die Grübel-Ursache durch einen anderen Reiz überschreiben. Da hilft schon Aufräumen oder Putzen, denn dadurch kommt Ordnung ins Leben. Kontrolle und Struktur reduzieren Angst, weil sie Stresshormone reduzieren. Angst wird durch Kontrollverlust getriggert.

Was kann man noch gegen Angst tun?
Die beste Angstbekämpfung ist meiner Meinung nach extreme Bewegung und Erschöpfung, das funktioniert immer. Oder auch ein Saunabesuch, einfach etwas, bei dem der Körper gefordert und das Hirn abgelenkt wird. Der dadurch entstehende „Wohlfühlschmerz“ wirkt der Angst entgegen.

Constanze Dennig ist Psychiaterin, Neurologin, Autorin, Regisseurin und Produzentin. © Luisa Dennig

Hat aus Ihrer Sicht in den letzten Jahrzehnten in Bezug auf die Wahrnehmung von Angst ein gesellschaftlicher Wandel stattgefunden?
Ob heutzutage die Angst wirklich zugenommen hat oder das nur medial befeuert wird, kann ich nicht beurteilen. Was auf jeden Fall ein Faktor ist, ist das Immer-Online-Sein. Unser Hirn ist einfach im Dauerstress, es sind zu viele Reize, es muss in Millisekunden tausende von Mikroentscheidungen treffen (liken, wegwischen, auf den Link klicken). Auch wenn wir das gar nicht merken. Jede Art der Entscheidung ist Stress für unser Gehirn. Ich sage daher: Analog sein wirkt angstreduzierend. Das Gehirn kann nicht zwischen einer realen Lebensgefahr und einer Reizüberflutung unterscheiden, die Cortisolausschüttung ist dieselbe. Die heute so vermehrt auftretenden Panikattacken können mit dieser Reizüberflutung zusammenhängen. Was bei jungen Menschen meiner Meinung nach auch Ängste fördert, ist der Cannabiskonsum. Dieser kann Angst auslösen, und dann wird noch mehr konsumiert, um sich zu beruhigen.

Nimmt man Angst heute bewusster wahr, weil man achtsamer lebt, mehr in sich hineinhört?
Ja, ganz sicher. Für Angst braucht man bis zu einem gewissen Grad Muße. Wenn man in einer wirklich gefährlichen Situation ist, hat man meist eh keine Angst, weil man keine Muße dazu hat, da muss man schnell reagieren. Man fürchtet sich eher vorher und nachher (Posttraumatisches Stresssyndrom), weil das Hirn eben nicht multitaskingfähig ist.

Werden wir mit Angst manipuliert?
Ja, ganze Branchen leben davon. Unzählige Entscheidungen treffen wir nur aufgrund von Angst: Wir schließen Versicherungen ab, wir lassen Sicherheitsschlösser einbauen, wir lesen Ernährungsratgeber. Wir versuchen, die Angst zu kontrollieren, und wenn wir das alleine nicht schaffen, dann suchen wir uns Expert:innen, die uns dabei helfen. Manche Branchen nutzen das sehr aus. Die Esoterikbranche zum Beispiel bietet den Leuten einfache Lösungen, ohne profunde wissenschaftliche Grundlage, das ist Geschäftemacherei. Unzählige Branchen leben von Angst, aber manche bieten zumindest eine Lösung. Die Unterscheidung ist manchmal schwierig.

Wie kann Angst uns helfen?
Ich versuche mit meinem Buch der Angst das bösartige Image zu nehmen, denn unser Glück entsteht durch Überwindung der Angst. Glück muss man sich meist erarbeiten. Das muss man aber auch erst lernen, indem man die Angst einmal überwindet. In dem Augenblick, in dem das passiert, empfinde ich Glück, weil das Problem erledigt ist. Und das Entdecken von Auswegen kann als Ventil wirken, um Angst in schöpferische Kraft zu transformieren, denn meist wird die Angst vor etwas in die kreative Bekämpfung der Ursache gesteckt.

Angst ist zwar kein angenehmes Gefühl, kann aber dennoch in etwas Positives umgewandelt werden. © beigestellt

Wie aus Angst etwas Positives wird

  • REALITÄTS-CHECK: Sich fragen, wie real die Ursache meiner Angst ist. Wenn nötig, das Umfeld befragen, da man selbst oft nicht objektiv ist.
  • BEWEGUNG: Körperliche Erschöpfung wirkt immer gegen Angst, da dabei die Stresshormone abreagiert werden. Ob Punchingball, laufen oder schreien – lassen Sie es raus.
  • KONTROLLE: Wege finden, die Angst zu kontrollieren, entweder selbst oder durch jemand anderen. Bei Angst vor einer Krankheit kann die Kontrolle etwa an Ärzt:innen abgegeben werden.
  • ABLENKUNG: Im Moment der Angst etwas anderes tun, da das Hirn nicht mehrere Dinge gleichzeitig denken kann. Das kann auch etwas ganz Banales sein, wie Blumen umtopfen.
  • RITUALE: Immer wiederkehrende Strukturen vertreiben die Angst und geben Halt.
  • SOZIALE KONTAKTE: Das Gefühl, nicht allein zu sein, ist bei Angst ebenso hilfreich.

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