Warum wird aus dem Gspusi keine Beziehung?
Eine Analyse der Situationships
© Unsplash/ Henri Pham
Mehr als eine Affäre, aber nicht „fix zamm“. Wir haben mit Psychotherapeutin Katja Ternonig über sogenannte „Situationships“ gesprochen.
Man geht wochenlang miteinander aus, textet sich jeden Tag, der Sex ist großartig, Pläne für kommenden Oktober werden geschmiedet, aber als feste Beziehung würden es beide nicht bezeichnen. Dieses Stadium, das gefühlt schon ein bisschen zu lang über die Kennenlernphase hinausgeht, wird gerade auf Social Media unter dem Begriff „Situationship“ diskutiert – eine Beziehung für den Moment.
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Beziehung ohne Beziehung – ein Dilemma?
Wenn beide Parteien mit der Situationship glücklich sind, ist alles gut. Meistens erwartet aber eine Person mehr davon, macht sich insgeheim Hoffnungen und interpretiert jede Einladung als eindeutigen Liebesbeweis. Was in dieser Misere helfen kann? Die gute alte Kommunikation. In diesem Fall jene, vor der viele Menschen große Angst haben: nämlich, die ehrliche. Wer die Karten auf den Tisch legt, macht sich zwar verletzlich, aber genau das macht echte Bindung möglich. Das behauptet zumindest die Erfolgsautorin Brené Brown in ihrem berühmten Ted Talk, der mittlerweile 21 Millionen Aufrufe auf YouTube hat.
Die Macht der Verletzlichkeit
Brené Brown arbeitete sich durch viele Studien und fasste besonders bindungsfähige Menschen unter dem Begriff „Wholehearted Lover“ zusammen. Sie alle haben etwas gemeinsam: Sie schämen sich nicht für ihre Gefühle und haben keine Angst davor, sie zu zeigen. Durch ihre Selbstliebe und Authentizität gehen diese Menschen starke Verbindungen im Leben ein, auch wenn es keine Garantie für ihre Beständigkeit gibt.
Wenn „Wholehearted Lover“ in einem Situationship stecken würden, von dem sie sich eine fixe Beziehung erhoffen, würden sie sich nicht dafür schämen, den Wunsch offen auszusprechen – auch, wenn das Outcome noch nicht gewiss ist.
Mutig voranschreiten
„Zu seinem Bedürfnis zu stehen und nachzufragen, was die andere Person fühlt, auch wenn diese cool und abgeklärt wirkt, ist mutig und macht vulnerabel“, weiß auch die Psychotherapeutin Katja Ternonig. Unser Bauch und unser Herz sagen uns nämlich sehr deutlich was Sache ist, weiß die Expertin.
„Unsere Körperintelligenz weiß immer, was gut für uns ist. Die meisten Menschen haben zu dieser Kraft den Bezug verloren und versuchen nur im Kopf eine Lösung zu finden. Hier sind wir aber sehr von unseren Prägungen, unseren Vorfahren und gesellschaftlichen Normen gesteuert.“
Das Gespräch aller Gespräche
„Wenn die Situationship in keine Richtung führt, die man sich für sich selbst wünscht, ist es Zeit für sich einzustehen“, sagt Katja Ternonig. „Viele sind aber beschämt und trauen sich nicht so zu sein, wie sie sind, und das auszusprechen, was sie wirklich wollen.“
Hoffnung auf Commitment?
„Lieber Wolke 4 mit dir als unten wieder ganz allein“, so die Songzeile von Philipp Dittberner, die das Phänomen nahezu perfekt beschreibt: Entweder eine kleine Dosis Nähe oder gar nichts, weil die andere Person vermeintlich nicht mehr geben kann. Die Überzeugung, dass es für Wolke 7 gerade nicht reicht, habe auch mit dem Selbstwert zu tun, so Katja Ternonig: „Man gibt sich oft mit Krümeln zufrieden, aus Angst ganz ehrlich mit seinen Bedürfnissen zu sein.“
Grenzen zu setzen und sich seinen Wünschen bewusst zu werden, sei in dieser Phase unbedingt notwendig. „Wenn man sich mit weniger zufrieden gibt, darf man sich nicht wundern, wenn man am Ende auch weniger bekommt“ – heißt es so schön. Überstürzen sollte man es aber trotzdem nicht.
Wer nach dem dritten Date schon gerne von einer festen Beziehung sprechen möchte, hat nämlich etwas übersprungen: die Kennenlernphase. Und die ist einer Situationship verdammt ähnlich.
Situationship? Klarheit schaffen
„Die Situationship ist auch die Phase, in der man überhaupt erkennt, ob die Werte und Vorstellungen zusammenpassen“, weiß die Therapeutin. Ein bisschen Geduld sollte man aber mitbringen, auch wenn es schwer fällt. Grundsätzlich gilt: „Der richtige Zeitpunkt für das Gespräch über den Beziehungsstatus ist dann, wenn sich das Bedürfnis meldet, Klarheit zu schaffen“, sagt die Expertin.
Solche Gespräche können in manchen Fällen auch schmerzhaft ausfallen: „Viele Menschen haben Angst, verlassen zu werden, wenn sie ihre wahren Gefühle äußern.“ Wenn das passiert, ist die andere Person mit großer Wahrscheinlichkeit nicht die Richtige. „Dieses Vertrauen haben die meisten nicht und versuchen deshalb, nichtfunktionierende Beziehungen aufrechtzuerhalten.“
Eine Auflösung des Gspusis ist sogar sehr sinnvoll, wenn für einen Part eine feste Beziehung überhaupt nicht vorstellbar ist. Bei einem offenen Gespräch könne man nur gewinnen, weiß Katja Ternonig: „Der oder die Richtige wird immer bleiben. Und wenn nicht, hat man wenigstens Klarheit und erspart sich viel Zeit und Mühe.“
Wenn offen kommuniziert wird und die Grenzen klar sind, kann aus der Situationship durchaus eine Beziehung werden.
Katja Ternonig
„Trennt euch!“
Der Schweizer Schriftsteller Thomas Meyer macht diese Phase auch in seinem Buch „Trennt euch!“ zum Thema: „Über seine Wünsche und Vorstellungen zu sprechen, wie auch über seine Ängste und Schattenseiten, würde uns allen guttun. Fänden diese Gespräche früher statt, entstünden nicht so viele nicht passende Beziehungen“, so der Autor.
Die eigenen Wünsche und Sehnsüchte überhaupt zu kennen sei dabei notwendig, weiß Katja Ternonig: „Je bewusster uns diese werden, desto weniger kann ich mich selbst belügen.“ Oft verschweigt man dem anderen ein Bedürfnis oder etwas, was man sich für die Zukunft wünscht – aus Angst, „zu viel“ für den anderen zu sein.
Vom Kopf ins Herz
In diesem Prozess gilt es, auf sein Herz zu hören: „Viele sind zu sehr im Kopf und im Ego.“ Schwer zu haben zu spielen oder extra lange nicht zurück zu texten, um das Ganze am Laufen zu halten, wären Beispiele dafür. Wer verliebt ist, darf es ruhig zeigen. Und wenn eine Seite noch nicht bereit ist, besteht trotzdem Hoffnung, meint Katja Ternonig.
„Wenn eine Verbindung da ist und offen miteinander kommuniziert wird, kann sich durchaus noch etwas Festes entwickeln.“ Menschen und Beziehungen können nämlich wachsen, so die Therapeutin. Auch, wenn der Übergang vom Gspusi in die Beziehung für manche unüberwindbar erscheint. Bei unsicheren Bindungstypen aktivieren sich in diesem Prozess oft Abwehrmechanismen, die schon als Kind erlernt wurden.
Sich diesen Mustern bewusst zu werden, kann dabei helfen, sie aufzulösen. Unterschiedliche Tempi sind dabei ganz normal. Was zählt ist der Wille, an sich und der Beziehung zu arbeiten. „Die Person, die gefühlstechnisch schon weiter ist, sollte sich dabei fragen, ob ihr die Entwicklung und das Tempo ausreicht“, schlägt die Expertin vor.
„Wenn offen kommuniziert wird und die Grenzen klar sind, kann aus der Situationship durchaus eine Beziehung werden.“
WIENERIN: BUCHTIPP
Thomas Meyer – „Trennt euch!“ Ein Essay über inkompatible Beziehungen und deren wohlverdientes Ende.
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