Glückliche Beziehung? Eine Frau und ein Mann liegen im Bett, sie trägt ein weites Hemd und Unterwäsche und beugt sich zu ihm vor für einen Kuss.

Paare und Expertinnen über glückliche Beziehungen

Lieben ohne Drama

8 Min.

© Pexels/ Cottonbro Studios

Weniger Abhängigkeit, mehr Autonomie. Weniger Erwartungen, mehr Authentizität. Was der Abschied von romantischen Klischees damit zu tun hat? Und wie man konstruktiv streitet? Wir befragen glückliche Paare und Expert:innen dazu.

Wir alle kennen sie: die Beziehungen, die aussehen wie ein permanentes Auf und Ab, ein ständiges Hin und Her zwischen Euphorie und Drama. Viele von uns haben sie selbst schon erlebt – diese Achterbahnfahrten der Gefühle, die einen gleichzeitig süchtig und erschöpft machen. Aber muss das wirklich so sein? Zeit, lieb gewonnene Illusionen über Bord zu werfen und ehrlich hinzuschauen. Denn möglicherweise ist genau diese Klarheit der Schlüssel zu einer Beziehung, die mehr ist als ein endloser Kreislauf aus Höhen, Tiefen und emotionalem Chaos. „Liebe ohne Drama bedeutet nicht weniger Intensität“, erklärt Paar- und Sexualtherapeutin Beate Janota aus Wien. „Es bedeutet, dass beide Partner gelernt haben, aus ihren eigenen Ressourcen zu schöpfen, anstatt vom anderen emotional abhängig zu sein.“

Glückliche Beziehungen und die Hollywood-Lüge

Wir sind mit Disney-Prinzess:innen und romantischen Komödien aufgewachsen, die uns eingeredet haben, dass wahre Liebe bedeutet, sich zu vervollständigen. „Du bist meine bessere Hälfte“ – ein Satz, der romantisch klingen soll, aber eigentlich ziemlich toxisch ist. Denn was passiert, wenn zwei halbe Menschen versuchen, ein Ganzes zu werden? Richtig: Drama, Abhängigkeit und jede Menge unerfüllte Erwartungen.,

„Weil Drama laut schreit – und Tiefe leise ist“, erklärt Janota, warum sich überholte Beziehungsideale so hartnäckig halten. „Alte Ideale kitzeln unser Ego und füttern unsere Sehnsucht nach Bedeutung. Sie versprechen Intensität, wo eigentlich Reife gefragt ist. Problematisch wird’s, wenn wir Schmerz mit Liebe verwechseln.“

Anita und Klaus Raidl über glückliche Beziehungen
Für Anita und Klaus Raidl ist das Zusammenspiel aus Nähe und Freiraum besonders wichtig. © privat

Was stabile Paare anders machen

Anita und Klaus Raidl sind seit 2004 zusammen und leben heute auf Mallorca. Ihre Beziehung überstand schwere Krankheit, Hausbau, die Geburt ihrer Tochter Lena, heute 14, und eine Auswanderung. „Die Vorstellung, nur mit der anderen Person vollkommen zu sein“, sagt Anita, haben sie längst hinter sich gelassen. „Wir sind individuell einfach großartig und als Paar und Familie einfach noch großartiger.“

Ihre gemeinsame Sprache der Liebe sind kleine Gesten des Alltags. „Es muss nicht immer der Blumenstrauß sein – für mich zählt auch das eisgekühlte Red Bull als Liebesbeweis“, lacht Anita. „Wir zeigen unsere Liebe oftmals mit kleinen Taten und erachten uns nie als selbstverständlich.“

Das Überraschende: Sie streiten praktisch nie. „Tatsächlich muss ich gestehen, dass wir wie Topf und Deckel harmonieren“, erzählt Anita. „Richtige Streits gab es in den letzten 21 Jahren vielleicht drei-, viermal.“

Wenn Streiten zur Kunst wird

Ganz anders handhaben es Esther-Marie und René Berg aus Wien. Das Paar führt seit 2013 gemeinsam ein Tattoostudio und eine Patchwork-Familie: Esther brachte ihren 14-jährigen Sohn Nicolas mit in die Beziehung, gemeinsam haben sie Tochter Josephine, 7. „Wir streiten leider ganz schrecklich – wie die Kesselflicker“, gesteht Esther ehrlich. „Aber wir versuchen, uns innerhalb kurzer Zeit zu versöhnen.“ Trotzdem funktioniert ihre Beziehung – weil sie beide wissen, was wichtig ist. „Reibereien gehören zu Beziehungen dazu und sind gesund für eine normale Beziehung.“

„Konstruktiv streiten heißt: nicht gegeneinander, sondern füreinander“, erklärt Janota. „Es geht ums Verstehen, nicht ums Rechtbehalten.“ Lebens- und Sozialberaterin Sabine Buiten beobachtet in ihrer Praxis häufige Verhaltensmuster: „Retter, Opfer, Ankläger – viele Paare rutschen unbewusst in alte Rollen. Es wird nicht zugehört, sondern innerlich schon gekontert. Nicht um zu verstehen, sondern um zu gewinnen.“

Esther-Marie und René Berg über glückliche Beziehungen
Kein Mensch ist perfekt – diese Erkenntnis ist das Fundament ihrer Beziehung zu ihrem Mann René. © privat

Die Balance zwischen Nähe und Freiraum

Wie schafft man es, sich nah zu sein, ohne sich selbst aufzugeben? Die Raidls verbringen fast 24 Stunden täglich miteinander – und haben trotzdem ihren Rhythmus gefunden. „Ich gehe zwei Stunden vor Klaus ins Bett, da ich dann trotz seines Schnarchens gut schlafen kann“, erzählt Anita pragmatisch. „Auf der anderen Seite lassen wir uns genügend Freiraum für Sport, Beauty-Termine und andere Treffen, die wir auch mal alleine wahrnehmen.“

„Nähe heißt nicht: sich gegenseitig zum Lebensmittelpunkt zu machen“, erklärt Buiten. „Wahre Intimität entsteht nicht durch Kontrolle, sondern durch Freiwilligkeit.“ Bei Esther und René haben beide Hobbys und Freund:innen, die getrennt voneinander gepflegt werden. „Wichtig ist uns, dass jeder weiß, wo der andere ist. Und auch, dass wir wissen, dass wir heimkommen können, ohne Vorwürfe“, sagt Esther.

Vertrauen statt Kontrolle

Was echtes Vertrauen bedeutet, zeigt eine Situation, die Esther kürzlich erlebt hat: „Ich bin letztens mit einer Freundin ,picken‘ geblieben und hab’ gesagt, ich bin um 22 Uhr daheim. Um 4 Uhr früh hatte der Mann einer Freundin bereits fünf Mal angerufen und die Scheidung angekündigt. René hat mich um 4 Uhr kurz angerufen und gefragt: ‚Wo bist du?‘ Ich: ‚Mit Tamara im Studio!‘ Und er: ‚Okay, dann leg’ ich mich wieder hin. Ich liebe dich.‘ “

Klaus Raidl musste lernen, Kontrolle abzugeben: „Auf alle Fälle habe ich Kontrolle und Eifersucht aufgegeben. Das war vor der Beziehung mit Anita und sicher auch noch zu Beginn unserer Beziehung ein Problem, an dem ich wachsen durfte. Ehrlich gesagt hat sie es mir auch sehr leicht gemacht, mich davon zu befreien.“ Was er beschreibt, führt zu einer wichtigen Frage: Wo liegt eigentlich die Grenze zwischen gesunder Bindung und ungesunder Abhängigkeit?

Der Unterschied zwischen Abhängigkeit und Bindung

„Emotionale Abhängigkeit sagt: ‚Ohne dich geht nichts‘ “, so Buiten. „Gesunde Bindung sagt: ‚Mit dir ist es besser – aber ohne dich schaff’ ich’s auch.‘ Der Unterschied? Die eine klammert und fordert, die andere entscheidet sich freiwillig, begegnet auf Augenhöhe und bleibt ohne Druck.“ Janota formuliert es so: „Emotionale Abhängigkeit klammert – gesunde Bindung verbindet. Abhängigkeit will Kontrolle, Bindung erlaubt Freiheit.“

„Verletzungen sind die Schatten, die wir mitbringen – nicht der Feind der Liebe“, sagt Janota. „Reife Beziehung heißt, diese Wunden zu sehen, ohne darin stecken zu bleiben. Es geht ums Anerkennen, nicht ums Verdrängen.“ Die Raidls haben das verinnerlicht. Auf die Frage, was sie Paaren raten würden, die weniger Drama wollen, antwortet Anita: „Arbeitet an euren Schattenthemen. Wir alle bringen aus unserer Kindheit, Jugend und dem Erwachsenenleben Narben, Ängste und Traumata mit. Solange wir die Triggerpunkte des anderen bewusst drücken und ausnutzen, wird es nie weniger Drama geben.“

Was stärkt glückliche Beziehungen im Alltag?

Bei den Raidls ist es körperliche Nähe: „Seit 21 Jahren werde ich fast täglich von meinem Mann massiert“, erzählt Anita. „Diese Streicheleinheiten sind wie Akku-Aufladen für mich.“ Die Bergs haben andere Rituale: „René sagt mir jeden Tag vorm Einschlafen, dass er mich liebt. Auch Telefongespräche beenden wir immer mit einem ‚Ich liebe dich‘ “, sagt Esther. „Außerdem ist bei uns unausgesprochenes Gesetz – wer daheim ist, kümmert sich um Haushalt und Essen, der Arbeitende muss an dem Tag nur heimkommen.“ Einmal im Monat gönnen sie sich eine Datenight, zweimal im Jahr fahren sie alleine in Urlaub.

Authentizität statt Performance

„Eine gesunde Beziehung ist kein Hollywood-Drehbuch, sondern ein ehrlicher Entwicklungsraum“, fasst Buiten zusammen. „Sie beginnt da, wo zwei Menschen Verantwortung für sich selbst übernehmen und bereit sind, voneinander zu lernen, statt sich gegenseitig zu retten. Stabil wird es nicht durch Verschmelzung, sondern durch zwei klare Ichs, die sich freiwillig begegnen.“

Esther Berg hat für sich gelernt: „Für mich als Frau ist es wichtig, dass ich den Job ausüben kann, der mich glücklich macht, und weiß, dass mein Partner immer hinter mir steht.“ Die beiden haben früh ihre jeweiligen Stärken erkannt und sich in die Bereiche aufgeteilt, die ihnen leichter fallen. „Wir haben auch beide ziemlich schnell gemerkt, wo die jeweiligen Stärken in der Beziehung liegen. Ich kümmere mich um die Buchhaltung und die Zahlungen, René weiß genau, wie er Kinder stundenlang beschäftigen kann.“

Liebe als bewusste Entscheidung

„Liebe ist Entscheidung, nicht nur Glücksgefühl“, sagt Janota. „Es funktioniert nicht nach dem Motto: Wenn es echte Liebe ist, läuft alles von alleine. Das ist ein Märchen.“ Für sie ist es wichtig, dass Paare lernen, „sich selbst zu tragen, alleine sein können und Selbstliebe pflegen, bevor sie sich verbinden und Verantwortung übernehmen.“ Anita Raidl sieht das ähnlich: „Unsere Liebe zueinander ist über die Jahre tiefer, stärker und robuster geworden. Wir haben die Erziehung unserer Tochter, die Auswanderung und den Aufbau unserer Unternehmen überstanden und haben weiterhin Ziele für die nächsten gemeinsamen 100 Jahre.“

10 Reflexionsfragen für Paare

Buiten empfiehlt regelmäßige „5-Minuten-Verbindungsrunden“: Eine Person spricht, das Gegenüber hört aufmerksam zu und spiegelt anschließend in eigenen Worten, was verstanden wurde. Wichtig dabei: Ich-Botschaften statt Schuldzuweisungen.

  • Was schätze ich an dir – konkret in dieser Woche?
  • Welche unausgesprochenen Erwartungen trage ich in mir herum?
  • Wo mache ich meine:n Partner:in für meine Gefühle verantwortlich?
  • In welchen Momenten sind wir ein richtig gutes Team?
  • Was vermisse ich und wie kann ich mir das vielleicht selbst geben?
  • Wo fühle ich mich in unserer Beziehung frei, ich selbst zu sein?
  • Welche deiner Eigenschaften bewundere ich, auch wenn sie mich manchmal herausfordern?
  • Was haben wir gemeinsam geschafft, worauf wir stolz sind?
  • In welchen Bereichen möchte ich mehr Eigenständigkeit?
  • Was brauche ich, um mich in unserer Nähe wohlzufühlen?

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