Verschwommenes Bild einer Frau in schwarzer Unterwäsche.

Frauenberatung: Scham war gestern – Wie Frauen ihre Lust zurückerobern

Jahrhundertelang wurde über weibliche Lust geschwiegen. Heute beginnen Frauen, dieses Schweigen zu brechen – mit Wissen, Offenheit und dem Mut, Scham in Selbstbestimmung zu verwandeln.

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Selbstbestimmt, sinnlich, ohne Tabu: Zwei Expertinnen der Frauenberatung erzählen, wie Frauen ihre Sexualität befreien – und wo sie Unterstützung finden. Ein Text über Mut, Aufklärung und weibliche Stärke.

Scham. Ein Gefühl, das viele Frauen begleitet – oft unausgesprochen, aber tief verankert. Besonders, wenn es um Sexualität geht. Noch immer tun sich viele schwer, offen über ihren Körper, ihre Lust oder ihre Grenzen zu sprechen. Dabei wäre genau das der Schlüssel zu Selbstbestimmung und innerer Freiheit.

Die lange Geschichte der Scham

„Sexualität ist nach wie vor in unserer Gesellschaft männlich geprägt“, sagt Natascha Bergler von Freiraum in Leibnitz, einer der 19 Frauen- und Mädchenberatungsstellen in der Steiermark. „Scham entsteht oft aus der jahrhundertelangen Kontrolle weiblicher Körper und dem Schweigen über weibliche Lust.“ Über Generationen sei Frauen der Schmerz, die Enttäuschung und das Gefühl der Entmachtung weitergegeben worden – Erfahrungen, die bis heute nachwirken. Doch langsam beginnt sich etwas zu verändern: Immer mehr Frauen sprechen offen über ihre Erfahrungen, brechen Tabus und fordern selbst­bestimmt ihren Raum in der ­Sexualität zurück.

Alte Glaubenssätze, neue Räume

Diese Veränderung braucht Bewusstsein und Wissen – und Orte, an denen über Lust gesprochen werden darf. „In unserer Kultur wirken noch immer unbewusste Erwartungen und Glaubenssätze nach, die Mädchen und Frauen den Zugang zu ihrer eigenen Sexualität erschweren“, so Bergler. Tief verankert sei die Vorstellung, dass sexuelle Erfüllung vor allem der Befriedigung des Mannes diene, während die Frau zur Ermöglicherin werde statt zur selbstbestimmten, lustvollen Akteurin. Weibliche Hingabe werde oft mit Kontrollverlust oder Schwäche verbunden – und genau darin liege der Ursprung vieler Unsicherheiten.

Schönheitsideale und andere Schamfallen

Hinzu kommen gesellschaftliche Bilder, die kaum Platz für Natürlichkeit lassen. „Schönheitsideale, Social Media und Porno­grafie prägen sicher auch mit, wie Frauen ihre Sexualität erleben, oft auch mit widersprüchlichen Botschaften“, sagt Bergler. „Rundungen, Weichheit und Üppigkeit, Symbole für Lebendigkeit und Sinnlichkeit, wurden verdrängt durch Magersein und kantige Linien.“ So entstehe der Druck, nur dann begehrenswert zu sein, wenn man den gängigen Normen entspreche.

Unsichtbare Lust

Sandra Janics-Jakomini, Geschäftsführerin im Freiraum, beobachtet in ihrer Arbeit dieselbe Spannung: zwischen Offenheit und Unsicherheit, zwischen Selbstbestimmung und Scham. „Als wir im Frauengesundheitszentrum Graz vor Jahren das kunstvoll gestaltete Bild einer Klitoris aufhängten, war die Reaktion bezeichnend“, erzählt sie. „Kaum jemand erkannte das Motiv – und wenn, wollte keine:r darüber sprechen.“ Diese Szene, sagt sie, zeige, wo wir gesellschaftlich stehen: „Die Klitoris, das zentrale Organ weiblicher Lust, ist anatomisch, sprachlich und symbolisch lange unsichtbar gewesen.“

Frauenberatung: Portraits von Natascha Bergler und Sandra Janics-Jakomini von Freiraum in Leibnitz
Natascha Bergler und Sandra Janics-Jakomini von Freiraum in Leibnitz. © arthurs fotostudio, Tomasz Becker

Über Lust zu sprechen, verändert alles

Dabei, so Janics-­Jakomini, beginne Selbstbestimmung genau dort: im Wissen über den eigenen Körper. „Weibliche Lust ist kein Bonus zur männlichen Sexualität, sondern ein eigenständiges System. Trotzdem wird sie in Schulbüchern, Alltagssprache oder in Paarbeziehungen meiner Wahrnehmung nach noch immer kaum erwähnt.“ Ihr Appell: „Wir sollten nicht nur über Scham und Sexualität sprechen, sondern über Lust – über Freude, Neugier, Sinnlichkeit und Selbstbefriedigung.“
Auch Natascha Bergler betont, dass Aufklärung weiterentwickelt werden darf – hin zu einem achtsamen Raum, in dem Vertrauen, Offenheit und altersgerechter Austausch ihren Platz finden.
„Nur Menschen, die selbst in einem heilen, schamfreien Kontakt mit ihrer Sexualität stehen, sollten dieses Wissen vermitteln.“ Frauen- und Mädchenkreise seien wertvolle Orte, um über Erfahrungen, Ängste und Scham zu sprechen und neues Vertrauen zu entwickeln.

Sichtbarkeit und Vorbilder

Beide Beraterinnen sind überzeugt: Eine Sexualität ohne Scham braucht Sichtbarkeit – und weibliche Vorbilder. „Die Weitergabe einer befreiten, liebevollen Haltung zur Sexualität beginnt im unmittelbaren Umfeld, durch Mütter, Großmütter und Frauen, die Sexualität als Ausdruck weiblicher Kraft, Sinnlichkeit und schöpferischer Energie leben“, sagt Bergler.
Janics-Jakomini ergänzt: „Eine Gesellschaft, in der ­Sexualität ohne Scham gelebt wird, ist eine, in der Frauen ihre Lust weder erklären noch rechtfertigen müssen. Der ­erste Schritt dorthin? Sichtbarkeit. Worte. Bilder. Wissen. Und Frauen, die ihre Lust kennen – laut und klar oder leise und doch sichtbar. Jede auf ihre Weise.“

Verein Freiraum in Leibnitz für Frauenberatung

Freiraum in Leibnitz ist Teil des Dachverbands der Frauen- und Mädchenberatungsstellen Steiermark, der seit über 30 Jahren professionelle Unterstützung, Beratung und Empowerment bietet.
Insgesamt gibt es 19 Standorte in der Steiermark mit 40 Beraterinnen, die jährlich über 5.000 Frauen und Mädchen begleiten.
Die Beratungen sind kostenlos, vertraulich und auf Wunsch anonym.
Mehr Infos: www.frauenberatung-steiermark.at

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