Vorfreude
Die international renommierte Kunsthistorikerin Ekaterina Degot wird für weitere fünf Jahre als Intendantin und Chefkuratorin die Geschicke des „steirischen herbst“ leiten.
© steirischer herbst/Dietmar Reinbacher
Die international renommierte Kunsthistorikerin Ekaterina Degot wird für weitere fünf Jahre als Intendantin und Chefkuratorin die Geschicke des „steirischen herbst“ leiten. Wir haben sie um einen Rückblick und einen Ausblick gebeten.
Frau Degot, Sie haben vor Kurzem Ihre zweite Amtszeit als Intendantin angetreten. Ein kurzes Resümee?
Ich bin froh über das, was wir in den letzten fünf Jahren erreicht haben: Graz und die Steiermark in der Welt bekannter zu machen durch neue, einzigartige Werke großer Künstler:innen, die wir hier produziert haben. Unsere Eröffnungen und Umzüge im öffentlichen Raum haben viele Menschen zusammengebracht, Paranoia TV im Jahr 2020 war eine Antwort auf den Lockdown und 2022 hat eine Ausstellung in der Neuen Galerie auf völlig neue Weise an die Tradition der großen Ausstellungen im steirischen herbst der 1990er-Jahre angeknüpft.
Was haben Sie sich für Ihre zweite Amtszeit vorgenommen?
Das Festival wird an seinen Grundsätzen festhalten: Es wird weiterhin international und interdisziplinär sein. Wir werden weiterhin Geschichten erzählen, immer mit einem Sinn für Humor, und Hochkultur und populäre Elemente vermischen. Wir werden wieder große Ausstellungen machen, aber wir werden auch Kabarett, Oper und Tanz nicht vergessen. Vor Kurzem sind neue internationale Kurator:innen zum Team gestoßen, Pieternel Vermoortel aus Belgien und Gábor Thury aus Ungarn, die beide bereits in Österreich gearbeitet haben und das Programm mit ihrer Vision und ihrer stark internationalen Erfahrung sicherlich bereichern werden.
Gibt es Trends und Entwicklungen in der Kunstwelt, die Sie aktuell beobachten können?
Die Kunstwelt ist in letzter Zeit noch offener und inklusiver geworden, weniger dogmatisch. Historische Kunst wird zusammen mit zeitgenössischer Kunst gezeigt, sie schließen sich nicht gegenseitig aus. Literatur, Theater, Film und bildende Kunst verschmelzen. Und das Publikum ist oft eingeladen, sich aktiv zu beteiligen.
In einer zunehmend digitalen Welt, wie beeinflusst die Technologie die Art und Weise, wie Kunst geschaffen und präsentiert wird?
Wir nutzen beim Festival das Internet, um Kunst für Leute auf der ganzen Welt zugänglich zu machen. Aber die Kunst ist auch dazu da, dass wir uns wieder mit physischen Empfindungen vertraut machen. Ein Festival bringt Menschen in der realen Welt zusammen und nichts übertrifft dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit.
Das Festival findet heuer unter dem Motto „Humans and Demons“ – also „Menschen und Dämonen“ – statt. Was steht hinter dem Motto?
Die menschliche Natur hat in letzter Zeit Schweres durchgemacht. Aber wir wollten, dass der Titel ein wenig wie ein Märchen oder ein alter Abenteuerroman klingt. Deshalb haben wir unsere Ausstellungen um vier Figuren – einige real, andere nicht – und ihre faszinierenden Biografien aufgebaut: Mira Schendel zum Beispiel, eine Künstlerin, die während des Zweiten Weltkriegs kurz in Graz war und dann in Brasilien berühmt wurde, oder Stefan Marinov, ein bulgarischer Alternativwissenschaftler, der in Graz ein Perpetuum Mobile bauen wollte.
Was erwartet die Besucher:innen des Festivals heuer?
Wie immer: viel. Eine Opernperformance von Lulu Obermayer auf dem Schloßberg, eine choreografische Intervention von Mateja Bucar in der Annenstraße, ein partizipatives Abenteuer von Michael Portnoy im Großen Minoritensaal und vieles mehr. An unseren vier Ausstellungsorten kann man Filme, Installationen, Gemälde und noch nie gezeigte Archivschätze sehen. Wie immer gibt es auch ein reichhaltiges Partnerprogramm, zu dem auch die Feier zu 20 Jahren Kunsthaus und eine Premiere von Elfriede Jelinek im Schauspielhaus gehören.
Welche politischen Aufgaben kommen einem Festival wie dem steirischen herbst zu?
Der steirische herbst hatte immer die Aufgabe, den lokalen Kontext für größere Zusammenhänge, das Neue, das Internationale zu öffnen und das kritische Denken zu fördern. Dieses Versprechen halten wir weiterhin.
Inwiefern kann die Kulturszene auf die aktuellen Krisen positiven Einfluss nehmen?
Die Kunst ist dazu da, uns durch Kreativität und Fantasie zu zeigen, dass ein anderes Leben möglich ist. Schönheit erhebt den Geist, die Zerbrechlichkeit der Kunst erinnert uns an unsere menschliche Natur. Die Kunst ist unsere Freundin in schwierigen Zeiten.
Nach mehr als fünf Jahren in Graz, welche Orte gefallen Ihnen besonders an der Stadt und in der Steiermark?
Ich komme mir immer noch wie eine begeisterte Touristin in Graz vor. Mich faszinieren die versteckten Innenhöfe, die Skulpturen, die hier und da im öffentlichen Raum verstreut sind. Von denen habe ich eine ganze Sammlung an Fotos. Und ich bin fasziniert von der Schönheit und Vielfalt der steirischen Städte und Orte, von Eisenerz bis Bad Radkersburg, von Murau bis Ramsau – ich habe sie alle auf der Suche nach Inspiration besucht, in einigen haben wir gearbeitet und einige werden wir fürs Festival bestimmt wieder aufsuchen.
Veranstaltungstipp
steirischer herbst ’23:
Humans and Demons
21.9. – 15.10.2023
www.steirischerherbst.at
Weitere Artikel zu diesem Thema
Abo