Anna Mabo sitz auf einer Statue und blickt in die Ferne

„Wie geht’s?“: Wie damit vermeintlich simpler Smalltalk Deep wird

Wie geht "Wie geht's"?

9 Min.

© Helena Payrhuber

Smalltalk? Hinter der winzigen Frage „Wie geht’s?“ steckt ganz schön viel, wenn wir ihr ein bisschen Raum geben, finden Singer-Songwriterin Anna Mabo, Sprachwissenschaftlerin Lisa Krammer, Soziologin Michaela Pfadenhauer und Schachspielerin Veronika Exler.

Anna Mabo: „Wie geht’s ist Deep Talk“

„Hallo ist immer ein guter Anfang“, singt sie und ich bin mir ziemlich sicher, wenn du dieses Lied hörst, kannst du danach eine Zeit lang nicht „Hallo“ sagen, ohne Anna Mabo im Ohr zu haben. Das Album, das mit diesem Song beginnt, trägt den Titel „danke, gut“. Die Singer-Songwriterin veredelt mit 13 Werken knapp 50 Minuten – und richtet ihr Vergrößerungsglas mit klugen, poetischen und pointierten Texten auf Themen, die wir im Alltag selten wahrnehmen. Dazu zählt die Frage, wie denn „Wie geht’s?“ zu verstehen sei.

„Es lauft“ lautet Anna Mabos scheinbar positive Antwort im (fast) gleichnamigen Song, „aber wenn man noch ein paar Sekunden zuhört, geht es weiter mit: ,Es lauft bergab und schief.‘ – Die wichtige Botschaft entgeht einem vielleicht, weil es aufgrund der vielen Dinge, die man heute gleichzeitig zu denken hat und all der Orte, an denen man gleichzeitig sein kann, immer schwieriger wird, bei der Person zu bleiben, die einem tatsächlich gegenüber sitzt“, sagt die Künstlerin. „Wie geht’s?“ kann die privateste und gleichzeitig oberflächlichste Frage sein, findet sie, „das ist doch eine interessante Zweischneidigkeit, die sich mit diesen zwei Worten im Smalltalk eingebürgert hat, obwohl die Frage eigentlich Stoff zum absoluten Deep Talk bietet“.

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Mit dem Album selbst macht sie jedenfalls einen Tauchgang; „es erzählt von Freundschaft, Vertrauen und Situationen, in denen man kraft- und mutlos ist, bis einem Menschen, die einem nahestehen, Mut machen – das sind die, denen auch eine ausführlichere Antwort auf ,Wie geht’s?‘ zuzumuten ist“, beschreibt Anna Mabo. Das viele Nachdenken darüber brachte sie zu der persönlichen Erkenntnis, dass man sich selbst im oberflächlichen Smalltalk vom „Danke, gut“ entfernen darf, wenn’s gerade nicht so rund läuft. Da tut es auch ein „es passt“, „weil es auch nicht zu erwarten ist, dass man die ganze Zeit fröhlich durch die Welt geht“.

Ob sie findet, dass sich seit Corona, Ausbruch der Kriege und Klimakatastrophe an den Smalltalk-Regeln etwas verändert hat? „Ich merke, wie manche Menschen mittlerweile differenzieren, indem sie sagen: Ich weiß um die Krisen und das Chaos, das um uns wütet, aber privat geht es mir gut, ich bin gesund und zufrieden“, sagt sie. „Ich glaube, man darf schon differenzieren, sonst wird man verrückt, wenn man kein Glück mehr empfinden darf.“

Die Komplexität vom simplen „Wie geht’s“

Lisa Krammer ist Sprachwissenschaftlerin und Podcasterin („mundART“). Sie forscht und lehrt am Institut für Germanistik der Universität Wien – und veröffentlichte mit ihrem Buch „Wienerisch – Zwischen ur leiwand und eh wuascht“ (Verlag Duden) ein Kaleidoskop von Stimmen, Studien bis hin zu Songtexten. Besonderheiten wie Grant und Schmäh werden auf fundierte und unterhaltsame Weise seziert. Die Pragmatik, sozusagen wie Menschen im Alltag mit Sprache agieren, gehört zu ihren favorisierten Forschungsinteressen. „Wie komplex das sein kann, zeigt sich schon im ,Wie geht’s?‘ – Auch wenn dieser Satz mit einem Fragezeichen endet, wird er häufig als Aussagesatz aufgefasst, weil man oft an der Antwort nicht sonderlich interessiert ist“, sagt Lisa Krammer.

Ob dem so ist, muss allerdings jeweils ad hoc entschieden werden, die Bedeutung der Frage variiert im Deutschen nämlich beispielsweise je nach Beziehungskonstellation (vertraut/fremd) und privatem oder beruflichem Kontext. Selbst Nuancen sind relevant, in einer Zwischen-Tür-und-Angel-Situation kann sich sogar eine enge Freundin für die floskelhafte Interpretation entscheiden. „Man kann aber auch nicht sagen, dass man ,Wie geht’s?‘ gar nicht mehr als Frage stellen muss, weil es nur als eine Art Begrüßung dient, auf die man keine ,echte‘ Antwort erwartet. Die Antwort ist: Es kommt darauf an“, erklärt die Sprachwissenschaftlerin. Die Formel, an der man sich orientieren könne, lautet: „Wer spricht in welcher Sprache mit wem und zu welchem Zeitpunkt?“

Hinzu kommt, dass Sprache multifunktional ist. Sie diene nicht nur der Übermittlung von Informationen, erklärt Lisa Krammer: Nach dem Kommunikationsmodell von Roman Jakobson hat Sprache auch spannende Nebenfunktionen, wie die sogenannte phatische Funktion. Man spricht also in erster Linie, um einfach zu sprechen. Dem eigenen Empfinden Ausdruck zu verleihen ist dabei eher nebensächlich. Darunter fällt beispielsweise auch das sich wiederholende „Hm“, wenn man seinem Gegenüber beim Zuhören signalisieren will: Ich bin da, ich höre dir zu. „Gruß- und Höflichkeitsformeln, Smalltalk über Wetter, Verkehr, aber auch das ‚Wie geht’s?‘ dienen zumeist nicht der Informationsbeschaffung, sondern zur Kontaktherstellung und zur Kontaktaufrechterhaltung“, erklärt Lisa Krammer. So gesehen sind Floskeln und Smalltalk besser als ihr Ruf – und wer sich ohnehin auf dem gesellschaftlichen Parkett nicht gerade pudelwohl fühlt, kann für sich Druck herausnehmen: Es darf elegant oberflächlich bleiben.

Grenzen lassen sich freilich oft schwer ziehen, nicht selten verschwimmen berufliche und private Kontexte. Die Schlüssel hierfür sind aktives Zuhören und Empathie; wenn bei einem ,Wie geht’s?‘ spürbar wird, dass man die phatische Dimension verlässt, „kann ich eine adäquate Situation in der Zukunft schaffen, indem ich etwa sage: ,Lass uns später darüber sprechen‘“, empfiehlt die Sprachwissenschaftlerin.

Smalltalk im Alltag

„Mit der Frage ,Wie geht’s?‘ geht eigentlich die gesamte Soziologie auf“, unterstreicht auch Michaela Pfadenhauer, Dekanin der Fakultät für Sozialwissenschaften an der Universität Wien. „Man muss sich über das Verhältnis im Klaren sein und auch überlegen: Wann darf ich die Frage eigentlich stellen? Relevant können gesellschaftliche Status- und Kulturunterschiede sein, gleichzeitig ist das ein universelles Thema: Es betrifft Menschen zu jeder Zeit an jedem Ort.“

Für die Erforschung der Alltagskommunikation erarbeitete der Wissenschaftler Harold Garfinkel die sogenannten Krisenexperimente; sie kommen zum Einsatz, um aufzudecken, welche Alltagsmethoden die Menschen haben, beschreibt Pfadenhauer. Ein Experiment wäre, auf die Frage „Wie geht’s?“ eine Gegenfrage zu stellen oder zu antworten: „Ich glaube nicht, dass dich das wirklich interessiert.“ Vereinfacht gesagt: An der Irritation ist erkennbar, dass wir im gesellschaftlichen Miteinander hierfür bereits eine Methode anwenden und im Alltag tendenziell nicht viel über die Antwort nachdenken.

„Genauso wie kommunikative Gattungen, bilden Gesellschaften auch bestimmte Methoden aus, um wiederkehrende Probleme zu lösen. Worum geht’s beim ,Wie geht’s?‘ – Darum, dass man permanent mit Menschen in Kontakt kommen soll, mit denen man zuvor nicht in Kontakt war“, erklärt die Sozialwissenschaftlerin. Mit Begrüßungsformeln wie „Wie geht’s?“ signalisiere man die Bereitschaft, eine Brücke zueinander zu schlagen, um miteinander ins Gespräch zu kommen. „Es ist der Versuch, nett und etwas lockerer zu sein, dabei mögliche Unterschiede auszublenden, ohne dabei in ein zu tiefes Miteinander einsteigen zu wollen. In dem Moment, in dem das wörtlich ausgelegt wird, kriegt man ein soziales Problem; wenn es als wirkliche Nachfrage nach dem Befinden verstanden wird, erfüllt es nicht mehr den gleichen Zweck.“

Für den Smalltalk gelte prinzipiell: „Es ist nicht so wichtig, was da gesagt wird, sondern wie es gesagt wird. Wenn es ein angenehmer Ton ist, dann plätschert das Gespräch gemütlich vor sich hin, weil es netter ist zu reden, als zu schweigen. Wenn man gemeinsam schweigen kann, ist das schon eine fortgeschrittene Beziehung“, weiß die Sozialwissenschaftlerin. Grundsätzlich gelte: „Kommunikation erfordert eine hohe Bereitschaft, viel, was nicht gesagt wird, mitzuliefern und mitzudenken, also zu vervollständigen. Man hat im Grunde eine Verbalisierung und dahinter, darunter, daneben und drumherum gibt es ein Mehr an Bedeutungen, die nicht nur Wissen über bestimmte Konstellationen erfordert, sondern auch so etwas wie Grundannahmen, darunter beispielsweise auch die Annahme, dass Perspektiven kongruent oder Standorte austauschbar sind.“

„Wie geht’s?“ im internationalen Vergleich

Mindestens zwei Dinge gibt es noch, die die Verwendung von „Wie geht’s?“ zusätzlich beeinflussen: Idiosynkrasie, also subjektive Reaktion, und Kultursprachunterschiede. Das englische „How are you?“ und “Ça va ?” in Frankreich gelten jedenfalls bloß als Floskeln. In den osteuropäischen Ländern scheint man die Frage „Wie geht’s?“ wiederum tendenziell wörtlich zu nehmen. Beispielsweise Menschen in und aus Ungarn – wie die Autorin dieser Zeilen – sollte man „hogy vagy?“ eher dann fragen, wenn man ein bisschen Zeit mitgebracht hat. Den Eindruck hat auch Veronika Exler, Schach-Nationalteamspielerin und leidenschaftliche Weltenbummlerin.

Während sie für gewöhnlich mit „Wie geht’s?“ und „Ja, gut“ das Gespräch mit ihrem Schachtrainer startet, beantworten ihre ungarischen Teamkolleginnen, die sie eigentlich relativ selten sieht, tatsächlich die Frage – und erkundigen sich auch offen nach ihrem Befinden.

Woher weiß man, wann wo was passt? Die Frage stellten wir der Wienerin übrigens in einer Pause beim großen FIDE Frauen Grand Prix in Großlobming, einem der wichtigsten Schachturniere, bei dem sie als Kommentatorin im Einsatz war. Veronika Exler bereiste – mit Vorliebe mit dem Rucksack – bereits alle sieben Kontinente, „letztes Jahr habe ich mir meinen Traum erfüllt und war in Südamerika und in der Antarktis unterwegs“, schwärmt sie.

Im Naturschutzgebiet, umgeben von Eis und Pinguinen, spielte die Kommunikation mit Menschen eher eine untergeordnete Rolle, die Sportlerin blickt aber auch auf viele weitere Reisen zurück. Ihr Rezept: „Ich bin überall offen und höflich, versuche mich anzupassen und lerne Begrüßung, Bitte und Danke in den Landessprachen.“ So hatte sie noch nie ein Problem aufgrund eines kulturellen Missverständnisses, sagt sie. Vorsichtig ist sie bei der Verwendung von Gesten, die können beispielsweise im arabischen Raum völlig andere Bedeutungen haben. Das „Wie geht’s?“ ist dort essenziell, „erst danach startet das Gespräch, aber die Antwort spielt keine Rolle“, weiß Veronika Exler. Schön findet sie die Begrüßung im asiatischen Raum, wo die Hände gefaltet werden und man sich leicht vor seinem Gegenüber verbeugt, „aber über Emotionen spricht man dort nicht“.

Sie schmunzelt über das französische „Ça va “, auf das tatsächlich nur „Ça va “ folgt – ebenso wie die Singer-Songwriterin: „Die Menschen in Frankreich würden glatt die Krise kriegen, wenn da jemand wirklich antworten würde, meinte erst kürzlich eine französische Freundin zu mir“, lacht Anna Mabo. „Das wäre so, als würden wir uns mit ,Auf Wiedersehen‘ verabschieden – und das Gegenüber fragt daraufhin: ,Aja, wann?‘“

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