Zucker, weiß

Blutzucker-Wert tracken: Sinnvolle Selbstoptimierung oder nur ein Trend?

Alles unter Kontrolle: Warum immer mehr Menschen ihren Blutzucker tracken – und was Redakteurin Leonie Werus nach zwei Wochen selbst herausfand.

8 Min.

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Ein herzhaftes Frühstück, reichlich Bewegung nach dem Essen und die richtige Reihenfolge an Lebensmitteln: Ein Millionenpublikum befolgt die Ratschläge von Jessie Inchauspé, besser bekannt als „Glucose Goddess“. Ihr Buch über die Macht des Blutzuckerspiegels wurde zum weltweiten Bestseller, ihre überraschenden Tipps für einen gesünderen Ernährungsstil machten sie berühmt: Die französische Biochemikerin ist fest davon überzeugt, dass ein stabiler Blutzuckerspiegel der Schlüssel zu mehr Leistungsfähigkeit und Vitalität ist – und damit auch für stoffwechselgesunde Menschen relevant.

Was für Diabetiker:innen lebensnotwendig ist, betrachten andere als weiteres Gadget zur Selbstoptimierung: ein Blutzucker-Sensor am Oberarm, mit dem sich der eigene Blutzuckerwert rund um die Uhr überwachen lässt. Doch was ist wirklich dran, an der „Glukose-Revolution“?

Blutzucker Symbolbild
© Martina Frötscher

Die Theorie

Glukose ist eine der wichtigsten Energiequellen für den menschlichen Körper. Sie wird aus kohlehydrathaltigen Lebensmitteln wie Brot, Reis, Obst oder industriell gesüßten Produkten gewonnen und gelangt über den Blutkreislauf zu den Zellen, wo sie als Treibstoff dient. Der Blutzuckerspiegel ist der Anteil an Glukose, der sich im Blut befindet. Nehmen wir Nahrung zu uns, steigt der Blutzuckerspiegel, bis der Körper ihn mithilfe von Insulin reguliert. Dieses Hormon, das von der Bauchspeicheldrüse produziert wird, wirkt wie ein Schlüssel, der die Körperzellen aufschließt, damit die Zellen ihren Treibstoff aus dem Blut bekommen, und lässt den Blutzuckerspiegel wieder sinken.

Im Blutzuckerverlauf ist dieser Vorgang durch Spitzen, sogenannte „Peaks“ beobachtbar. Diese Peaks fallen je nach Zusammensetzung der Nahrung und anderen Faktoren unterschiedlich stark aus. Werden Kohlehydrate gemeinsam mit Fetten und Proteinen gegessen, fällt der Peak flacher aus, weil diese Stoffe die Aufnahme der Kohlehydrate im Körper verlangsamen.

Essen wir dagegen Schokolade, steigt der Blutzuckerspiegel rasant an, sodass oft zu viel Insulin freigesetzt wird und der Blutzuckerwert nach dem schnellen Anstieg wieder stark abfällt, manchmal sogar unter den Ausgangswert. Auf diesen Unterzucker reagiert unser Körper mit Heißhunger – er verlangt nach mehr Zucker und der Kreislauf beginnt von vorn.

Wichtig ist aber: Schwankungen im Blutzuckerspiegel sind vollkommen normal. Wirklich gefährlich werden können sie nur für Diabetiker:innen, für die die kontinuierliche Messung des Glukosewerts durch Sensoren ursprünglich entwickelt wurde. Trotzdem ist ein ausgeglichener Blutzuckerspiegel ohne allzu steile Spitzen gut für die Gesundheit und beugt Stoffwechselerkrankungen wie Adipositas, Diabetes oder Bluthochdruck vor. Das ist durch Studien belegbar und keine neue Erkenntnis.

Woher kommt also plötzlich der Hype rund um den „Glukose-Trick“?

Blutzucker Symbolbild App messen
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Wissenschaft trifft Wellbeing

Über allem schwebt unser unermüdlicher Drang nach Selbstoptimierung, gepaart mit Megatrends wie Longetivity, den heutigen Möglichkeiten der Wissenschaft und dem ewigen Wunschtraum einer
Instagram-tauglichen Figur. Ob Kalorienzählen oder Intervallfasten – Trends in der Ernährungswelt kommen und gehen, doch das Bedürfnis nach Kontrolle über den eigenen Körper bleibt.

Wer seinen Blutzucker misst, bekommt nicht nur eine neue Kennzahl fürs eigene Wohlbefinden, sondern das beruhigende Gefühl, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, um letztlich gesünder, schlanker oder leistungsfähiger zu werden. Und natürlich wäre es schön, wenn das Ganze auch noch ohne Verzicht funktioniert. Klingt zu einfach, um wahr zu sein? Ich wollte es herausfinden – und habe zwei Wochen lang meine Blutzuckerachterbahn verfolgt.

weißer Zucker
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Im Selbsttest

CGM-Sensoren (die Abkürzung steht für „Countinuous Glucose Monitoring“) sind im Internet verfügbar. Mittlerweile ist Glukose-Tracking eine Milliardenindustrie geworden und Firmen bieten unterschiedliche Pakete zur Blutzuckerüberwachung speziell für Nicht-Diabetiker:innen an.

Rund 150 Euro kostet der Blick in den eigenen Körper im Testpaket etwa über die Wiener Stoffwechsel-Plattform „Hello Inside“. Inkludiert sind die zweiwöchige Blutzuckermessung samt Sensor und Zugang zur App, in der sich der Blutzucker in Echtzeit überwachen lässt. Bereits nach wenigen Tagen ist das Päckchen da – und mein Herzschlag schneller als sonst, als es ans Anbringen des Sensors geht.

Ich befürchte einen Piekser oder gar Schmerzen, doch merke am Ende gar nichts, als eine kleine Nadel den drei Millimeter langen Faden mit der Mess-Elektrode in meinen Arm schiebt. Die dazugehörige App ist schnell eingerichtet und leicht zu handhaben, sie zeigt mir meine Blutzuckerkurve und damit, wie mein Körper auf Lebensmittel, Sport, Schlaf oder Stress reagiert. Nützliche Informationen, Experimente und Rezepte sollen dabei helfen, zu verstehen, was in mir vorgeht.

Glukose selbst messen durch App
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Tiefe Einblicke

Wie die meisten Stoffwechsel-gesunden Menschen habe ich meinem Blutzucker bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Umso faszinierender ist es, in den ersten Tagen meines Selbstexperiments wie gewohnt zu essen und zu beobachten, was man sonst nicht sieht. Wenig überraschend steigt mein Blutzuckerspiegel nach Kuchen, Keksen und Co rasant an und fällt genauso schnell wieder.

Dass mein Alltagsfrühstück – Müsli mit Milch und Obst – fast dasselbe mit meiner Kurve anstellt, ist da schon spannender. Auch Kartoffeln verursachen bei mir einen starken Peak – kein Wunder, dass ich danach üblicherweise schnell wieder hungrig bin. Mit der Zeit werde ich experimentierfreudiger und teste einige der Tipps aus meiner App. Manche sind einfach umzusetzen – der Spaziergang nach dem Essen oder der Salat als Vorspeise fallen mir nicht schwer – , das Glas Essigwasser vor der Mahlzeit kostet da schon mehr Überwindung, ist aber wohl auch nur Gewöhnungssache.

Die Frage, die ich mir an diesem Punkt stelle: Will ich mich daran gewöhnen? Möchte ich, dass jede Mahlzeit zur Wissenschaft und auf einer Skala von eins bis zehn bewertet wird, und mein Essverhalten zum Zusammenspiel strategischer Entscheidungen?

Ein Experiment, kein Lebensstil

Schon während der kurzen Zeit meines Selbstexperiments stellte ich fest, wie mir durch die ständige Kontrolle die Leichtigkeit abhandenkam. Auch meine Bildschirmzeit schnellte übrigens in die Höhe – alles akribisch einzutragen, kostet schließlich seine Zeit. Blutzuckerkontrolle mag für manche, für die „Glucose Godess“ und ihre Anhänger:innen ein Lebensstil sein, für mich bleibt es ein Experiment – wenn auch ein spannendes.

Ich habe gelernt, wie kleine Veränderungen einen Unterschied machen können, wie stark Ernährung und Wohlbefinden zusammenhängen, und werde durchaus einige Tricks in meinen Alltag integrieren. Trotzdem geht es letztlich um das, was sich für mich richtig anfühlt – und das ist nicht immer messbar.

Wie sinnvoll ist es für stoffwechselgesunde Personen, ihren Blutzucker zu überwachen?

Susanne Kaser: Für stoffwechselgesunde Menschen gibt es kaum einen medizinischen Nutzen, kontinuierlich ihre Glukosewerte mit Sensoren zu überwachen. Die Interpretation der Daten ist oft schwierig, da es keine klaren Referenzbereiche für Gesunde gibt. Wer verstehen möchte, wie verschiedene Lebensmittel den Blutzuckerspiegel beeinflussen, sollte sich eher mit ihren Inhaltsstoffen und dem glykämischen Index beschäftigen. Einfachzucker, wie weißer Zucker oder Honig, lässt den Blutzucker schnell und stark ansteigen, während komplexe Kohlenhydrate, etwa aus Vollkornprodukten, langsamer verstoffwechselt werden und deshalb gesünder sind.

Warum reagieren unterschiedliche Menschen anders auf die gleiche Mahlzeit?

Wie stark und schnell der Blutzucker nach einer Mahlzeit ansteigt, hängt von mehreren Faktoren ab. Die Funktionsfähigkeit der insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüsen und die Insulinempfindlichkeit von Organen und Geweben spielen eine entscheidende Rolle. Neben diesen individuellen Faktoren können aber auch der Zeitpunkt der Mahlzeit, körperliche Aktivität, Stress oder Infektionen den Blutzuckerspiegel beeinflussen.

Was halten Sie generell von Selbstoptimierungstrends im Ernährungsbereich und wie können wir unserem Stoffwechsel sonst noch etwas Gutes tun?

Viele einseitige Ernährungstrends oder Diäten sind wissenschaftlich nicht ausreichend belegt. Im Gegensatz dazu hat die mediterrane Ernährung nachweislich positive Effekte auf die Stoffwechselgesundheit: Sie senkt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar für bestimmte Tumorerkrankungen.

Diese Ernährungsweise setzt auf ballaststoffreiche Lebensmittel wie Hülsenfrüchte, Gemüse, Vollkornprodukte sowie reichlich Obst und pflanzliche Öle, insbesondere Olivenöl. Wichtig sind vor allem eine gesunde, ausgewogene Ernährung und ein insgesamt aktiver Lebensstil. Motivationshilfen wie Schrittzähler-Apps können dabei unterstützend wirken. Ein übermäßiger Fokus auf Selbstkontrolle kann Stress und zwanghaftes Verhalten bewirken – das ist natürlich nicht zielführend.

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Über die Autorin:

Leonie Werus, Redakteurin für die Ressorts Genuss, Wohnen und Freizeit bei der TIROLERIN
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Leonie Werus betreut die Ressorts Genuss, Wohnen und Freizeit. Sie ist ein echter Workhaholic und weiß es jede Minute gut für sich zu nutzen. Mit ihren Airfryer, liebevoll Fritti genannt, probiert sie gerne neue Rezepte und versucht nebenbei das TIROLERIN-Team zum Sport zu motivieren – meist leider vergeblich.

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